Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Aufstand der Vorstadtfr­auen

Die Amerikaner stehen vor schicksalh­aften Kongresswa­hlen. Kann Präsident Trump seine Macht ausbauen oder kippt seine Mehrheit? Für die opposition­ellen Demokraten treten so viele weibliche Kandidaten an wie noch nie. Das könnte die Wahl entscheide­n

- VON KARL DOEMENS

Culpeper In der amerikanis­chen Fernsehser­ie „Madame Secretary“wird die frühere CIA-Analystin Elizabeth McCord vom Präsidente­n völlig überrasche­nd in die Politik geholt. Die Mutter dreier heranwachs­ender Kinder ist sich der enormen Herausford­erung bewusst, akzeptiert aber aus Pflichtgef­ühl die Berufung in die Regierung, wo sie als Außenminis­terin mit ihrem unkonventi­onellen Stil trotz großer Widerständ­e des Establishm­ents beachtlich­e Erfolge erzielen kann.

Wenn Elizabeth McCord eine jüngere Schwester im wirklichen Leben hat, dann steht sie an diesem Abend vor den 80 Gästen im historisch­en Backsteing­emäuer des Lokals „Grass Rootes“in der von Weiden und Farmen umgebenen Kleinstadt Culpeper in Virginia. Im dunklen Hosenanzug, das lange blonde Haar unkomplizi­ert nach hinten gefönt, ergreift Abigail Spanberger, 39, das Wort. „Ich komme aus dem öffentlich­en Dienst, wo ich geholfen habe, das Land vor Terroriste­n zu schützen“, stellt sie sich vor. Nachdem sie lange für Präsidente­n beider Parteien gearbeitet habe, sei sie schockiert über das Ausmaß der derzeitige­n Polarisier­ung: „Ich will in Washington daran arbeiten, die wirklichen Probleme der Menschen zu lösen.“

Wie die Filmheldin aus „Madame Secretary“ist Spanberger eine politische Quereinste­igerin. Auch sie zieht zusammen mit ihrem Mann drei Kinder groß. Und sie hat undercover zwölf Jahre beim Auslandsge­heimdienst CIA gearbeitet. Doch anders als in der TV-Serie ist Spanberger nicht vom Präsidente­n berufen worden. Im Gegenteil. Der Politiksti­l von Donald Trump hat Spanberger zur Kandidatur getrieben. „In der Schule meiner Töchter darf nicht mehr über Politik gesprochen werden, weil der Hass zu groß ist“, berichtet sie dem Reporter aus Deutschlan­d, wo sie während ihres Studiums ein Jahr lebte: „Das ist nicht Amerika. Ich weigere mich zu akzeptiere­n, dass alles von Wut und Zorn beherrscht wird.“

An diesem Dienstag nun steht Spanberger als demokratis­che Be- für das US-Repräsenta­ntenhaus zur Wahl – so wie 197 andere Frauen und damit fast die Hälfte aller Kandidaten der Partei. Mit seinen frauenfein­dlichen Sprüchen, der Hetze gegen Minderheit­en und der Verharmlos­ung mutmaßlich­er sexueller Übergriffe hat der Präsident eine Rekordzahl weiblicher Kongresska­ndidatinne­n mobilisier­t. Oft treten sie in republikan­ischen Bezirken an. So auch Spanberger: Ihr Wahlbezirk in Virginia wird in Washington seit einem halben Jahrhunder­t von Republikan­ern vertreten. Bei der letzten Wahl vor zwei Jahren siegte ein rechter Verbündete­r von Trump. Die Region zwischen der florierend­en Metropolre­gion von Richmond und den idyllische­n Pferdekopp­eln am Fuße der Blue Ridge Mountains galt für die Demokraten als hoffnungsl­oses Brachland. Bis vor kurzem. Nach Umfragen liegt Spanberger mit dem Amtsinhabe­r nun gleichauf.

Anderswo sind demokratis­che Herausford­erer bereits an den republikan­ischen Platzhirsc­hen vorbeigezo­gen. So glauben viele Demoskopen, dass es den Demokraten bei den schicksalh­aften Kongresswa­hlen tatsächlic­h gelingen könnte, die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus zu erobern. Dann hätten sie einen Hebel, um Trump das Regieren schwerer zu machen. Bedanken könnten sich bei Frauen wie Spanberger – und ihren Wählerinne­n. Nicht nur ist der landesweit­e Mobilisier­ungsgrad bei Frauen höher als bei Männern. Vor allem ist Trump bei gebildeten Frauen in den Vorstädten unbeliebt. Gelingt es, diese Gruppe zur Stimmabgab­e zu bewegen, wird es eng für die Konservati­ven.

Darauf setzt auch Jennifer Wexton. Die Ex-Staatsanwä­ltin tritt 70 Meilen weiter nördlich im zehnten Wahlbezirk von Virginia an, der das höchste Bildungsni­veau aller republikan­ischen Distrikte aufweist. Die Fahrt zum Treffen in Sterling führt über achtspurig­e Ausfallstr­aßen, die von Trabantens­iedlungen und Bürohäuser­n gesäumt werden. Rund 35 000 Regierungs­beamte leben hier im reichen Speckgürte­l von Washington. Seit 1981 stellen die Republikan­er den lokalen Abgeordnet­en. Nun liegt die Demokratin Wexton in den Umfragen mit sieben bis 13 Prozentpun­kten vorne.

„Wir müssen jetzt alles geben. Wir dürfen nicht pausieren!“, feuert die 50-Jährige ihre Unterstütz­er an. Auch der demokratis­che Gouverneur Ralph Northam ist vorbeigeko­mmen. In der improvisie­rten Wahlkampfz­entrale hinter einer Autowascha­nlage und einem McDonald’s ist der Teppichbod­en abgewetzt. An der Decke hat ein Wasserscha­den hässliche braune Flecken hinterlass­en. Aber die Stimmung wirkt kämpferisc­h. Höherer Mindestloh­n, schärfere Waffengese­tze, mehr Mittel für Bildung und eine bessere Krankenver­sichewerbe­rin rung sind die wichtigste­n Themen der Kampagne.

Doch immer geht es auch um etwas anderes. „Ich bin entsetzt, wie Donald Trump über Frauen, Flüchtling­e und Minderheit­en spricht“, sagt Wexton im Gespräch. Die eloquente Juristin trägt einen Blazer und eine markante Brille. Die Tiraden des Präsidente­n zeigten, wie zerbrechli­ch die Demokratie ist, begründet sie ihre Bewerbung: „Da kann man nicht an der Seitenlini­e stehen.“Wird bei der Kongresswa­hl also auch über den Präsidente­n abgestimmt? „In gewisser Weise ja“, antwortet Wexton. Und gerade angesichts dessen spalterisc­her Rhetorik sei es wichtig, dass viele moderne Frauen im Parlament vertreten seien: „Ich werde Trump die Stirn bieten.“In einem TV-Spot präsentier­t sie sich als „Working Mom“, die ihre Söhne zur Schule fährt. „Als Staatsanwä­ltin habe ich tagsüber Kriminelle ins Gefängnis gebracht und abends Windeln gewechselt“, propagiert die Kandidatin amerikanis­che Mittelklas­se-Werte.

Doch auch neue Wählergrup­pen haben die Demokraten im Blick. So lebt im siebten Wahlbezirk von Massachuse­tts rund um Boston nur noch ein Drittel Weiße. Entspreche­nd hoch ist der Anteil der Schwarzen und Latinos unter den rund 500 meist jüngeren Interessie­rten, die in das Gemeindeze­ntrum von Cambridge gekommen sind, um Ayanna Pressley zu erleben. Die 44-Jährige ist ein Politstar, seit sie bei den Vorwahlen den alt eingesessi­e senen Abgeordnet­en ihrer eigenen Partei nach zehn Amtsperiod­en überrasche­nd aus dem Rennen geworfen hat. Die Frauenkart­e allein genügte für diese Revolte nicht. Vielmehr ist Pressley schwarz und dezidiert links. Sie verkörpert die bunte Graswurzel­bewegung, die sich im Widerstand zu Trump gebildet hat und nun auch das Establishm­ent der eigenen Partei herausford­ert.

„Der Wechsel kann nicht warten“, hat Pressley bei ihrer Nominierun­g ausgerufen. In der Turnhalle des Gemeindeze­ntrums steht sie nun auf der Bühne neben der erfahrenen demokratis­chen Senatorin Elizabeth Warren und wirkt noch etwas schüchtern. Mit den Forderunge­n nach einem Bleiberech­t für Migranten, einer universell­en Krankenver­sicherung und der Bekämpfung von Polizeigew­alt setzt sie aber eigene politische Akzente. „Jetzt ist die Zeit, mutig zu sein und ein Risiko einzugehen“, sagt die Frau, die als Tochter eines drogenabhä­ngigen Kriminelle­n groß wurde. Aus ihrer Abscheu für Trump, den sie einen „rassistisc­hen, frauenfein­dlichen und empathielo­sen Mann“nennt, macht sie keinen Hehl.

Derart radikal würde sich Abigail Spanberger im ländlichen Virginia nicht ausdrücken. Zum einen entspricht es nicht dem Naturell der pragmatisc­h-effiziente­n Ex-Geheimdien­stlerin. Es wäre politisch aber auch höchst unklug. So mobilisier­end der Widerstand gegen den ungeliebte­n Präsidente­n im traditione­ll linken Bostoner Wahlbezirk wirkt, wo erst gar kein republikan­ischer Bewerber gegen Pressley antritt, so abstoßend kann die emotional aufgeheizt­e Personalis­ierung auf unabhängig­e Wähler und enttäuscht­e Republikan­er wirken. Genau das ist Spanberger­s Problem: Ihr hundert Meilen langer Wahlkreis wurde unter republikan­ischer Ägide bewusst so geschnitte­n, dass er neben den tendenziel­l demokratis­chen Vororten von Richmond auch ebenso pittoreske wie konservati­ve Landstrich­e weiter im Westen umfasst. Wer aus beiden Gruppen Stimmen bekommen will, muss seine Botschafte­n sorgsam austariere­n.

Im trendigen „Grass Rootes“erwähnt Spanberger bei ihrem Vortrag den Namen „Trump“kein einziges Mal. „Ich trete nicht gegen ihn an. Ich will die Schlacht von 2016 nicht noch einmal schlagen“, sagt sie später zur Begründung. In die Runde ruft sie: „Beim CIA haben wir uns auf eine Mission konzentrie­rt. In der Politik müssen wir uns vor allem verständig­en und gemeinsame Werte wie Würde und Achtung wiederhers­tellen.“

Das klingt abstrakt. Es bremst aber nicht den Eifer, mit dem Spanberger für den politische­n Wechsel kämpft. „In einem traditione­ll republikan­ischen Bezirk besteht die Gefahr, dass viele Menschen erst gar nicht wählen gehen, weil sie glauben, dass sich ohnehin nichts ändert“, sagt sie: „Also sorgen wir dafür, dass alle wissen, wie die Chancen stehen.“

Auch an der Schule ihrer Kinder dürfte sich das inzwischen herumgespr­ochen haben. Die siebenjähr­ige Charlotte verließ eines Morgens mit einem Kampagnen-Button am Rucksack das Haus. „Du musst den Button abmachen. Das ist Politik“, wies ihre ältere Schwester sie zurecht: „In der Schule ist Politik nicht erlaubt.“Doch das Mädchen ließ sich nicht beirren. „Das ist keine Politik“, konterte sie: „Es ist mein Name.“

Plötzlich liegt sie mit dem Amtsinhabe­r gleichauf

Ein radikaler Ton wäre politisch höchst unklug

 ?? Foto: Win McNamee/Getty Images, afp ?? „Ich will die wirklichen Probleme der Menschen lösen“: Kandidatin Abigail Spanberger.
Foto: Win McNamee/Getty Images, afp „Ich will die wirklichen Probleme der Menschen lösen“: Kandidatin Abigail Spanberger.
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Foto: Bill Clark/CQ Roll Call, Getty Images „Ich werde Trump die Stirn bieten“: Kandidatin Jennifer Wexton.
 ?? Foto: Joseph Prezioso, afp ?? „Der Wechsel kann nicht warten“: Kandidatin Ayanna Pressley.
Foto: Joseph Prezioso, afp „Der Wechsel kann nicht warten“: Kandidatin Ayanna Pressley.

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