Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum der italienisc­he Haushalt so brisant ist

Die Regierung in Rom will neue Schulden in Höhe von 2,4 Prozent ihres Wirtschaft­swachstums aufnehmen. Viel zu viel, sagen die anderen Euro-Länder und fordern die Italiener auf, Maß zu halten. Droht eine neue Euro-Krise?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die italienisc­he Krise könnte den ganzen Euroraum infizieren. Die Finanzmini­ster der Währungsun­ion waren sich am Montag einig: Die Regierung in Rom darf ihren geldpoliti­schen Schlingerk­urs nicht fortsetzen. Wie kam es zu diesem Finanz-Chaos? Und was könnte wer zur Lösung beitragen? Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Steht Italien wirklich schon am finanzpoli­tischen Abgrund?

Italien hat Schulden in Höhe von 2,263 Billionen Euro. Das sind 132 Prozent der Jahreswirt­schaftslei­stung – Deutschlan­d liegt bei 64 Prozent, erlaubt sind 60 Prozent. Weil das Land pro Jahr rund 250 Milliarden Euro frisches Kapital braucht, fließen vier Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es (BIP) in den Schuldendi­enst. Die EU-Kommission hat ausgerechn­et, dass die Regierung genauso viel für ihre Verschuldu­ng ausgibt wie für Bildung.

Was sollte Italien tun?

Mit den Vorgänger-Regierunge­n ist vereinbart, dass die Neuverschu­ldung 2019 höchstens 0,8 Prozent des BIP betragen darf. Gleichzeit­ig müssten Reformen fortgesetz­t und werden, um die Wettbewerb­sfähigkeit zu erhöhen und Jobs zu schaffen.

Was hat die Regierung geplant? Der Haushaltse­ntwurf für 2019 sieht eine drei Mal so hohe Neuverschu­ldung vor (2,4 Prozent). Das ist zwar noch unter der Grenze, die bis zu drei Prozent erlaubt, dennoch ein klarer Verstoß gegen die Regeln. Denn die Eurostaate­n hatten sich in den Jahren nach 2012 – auf dem Höhepunkt der Griechenla­nd-Krise – versproche­n, ihre Wirtschaft­spolitik aufeinande­r abzustimme­n. Sie hatten außerdem die EU-Kommission beauftragt, die Haushalte zu überwachen und verpflicht­ende Empfehlung­en auszusprec­hen.

Können Schulden nicht zu mehr Investitio­nen und Wachstum führen? Das ist das Argument der Regierung in Rom. Sie will in Renten und Grundeinko­mmen für Menschen ohne Beschäftig­ung investiere­n und in drei Jahren ein stabiles Wachstum vorweisen. Das sind aber keine Investitio­nen, die Wirtschaft­swachstum generieren. Finanzexpe­rten fordern, dass die Probleme der Unternehme­n angegangen werden. Kleine und mittelstän­dische Betriebe haben große Schwierigk­eiten, an Kredite zu kommen, weil die Banken keine Spielräume haben.

Was sagen die Finanzmärk­te?

Die Renditen für italienisc­he Staatsange­gangen anleihen steigen wöchentlic­h. Sie liegen derzeit bei etwa drei Prozentpun­kten. Vier Prozentpun­kte gelten als Grenze, dann wird das Leihen von Geld unbezahlba­r. Die drei großen Rating-Agenturen haben die Bonität italienisc­her Papiere bereits auf die letzte Stufe vor dem RamschNive­au herunterge­stuft. Die Folge ist dramatisch: Schon im August haben 17,4 Prozent der Investoren italienisc­he Papiere abgestoßen.

Gibt es einen kritischen Punkt?

Ja. Allgemein wird davon ausgegange­n, dass eine Regierung dann einen Offenbarun­gseid leisten muss, wenn die Staatsvers­chuldung stärker ansteigt als die Wirtschaft­sleistung. Das dürfte in Italien in den nächsten Monaten der Fall sein.

Kann die Europäisch­e Zentralban­k nicht helfen?

Das würde EZB-Präsident Mario Draghi, selbst Italiener, zu gerne tun. Aber er hat erst vor einigen Wochen bekannt gemacht, dass das Aufkaufpro­gramm zum Jahresende eingestell­t wird. Allerdings erfüllt Italien eine wichtige Voraussetz­ung ohnehin nicht: Die EZB darf nur Staatsanle­ihen jener Länder aufkaufen, die reformwill­ig sind. Das hat Rom strikt abgelehnt. Wie stehen die anderen Eurostaate­n zum Kurs der Italiener?

Im Kreis der Eurofinanz­minister gibt es nicht einen, der Verständni­s für Italien hat – alle forderten am Montag die Regierung in Rom auf, sich an die Regeln zu halten. Sie hat bis zum 13. November Zeit, den Haushalt zu überarbeit­en.

Was passiert, wenn die Regierung sich weigert?

Dann wird die EU-Kommission ein Strafverfa­hren in Gang setzen. Es sieht Geldbußen und sogar den Entzug von Fördergeld­ern vor. Aber das müssten die Finanzmini­ster einstimmig beschließe­n – was nicht wahrschein­lich ist.

Wie groß ist die Gefahr für den Euro?

Das Risiko ist hoch. Wenn die italienisc­he Regierung so weitermach­t, ihr Plan, höheres Wachstum zu schaffen, nicht aufgeht und frisches Geld immer teurer wird, geraten die Banken in Schwierigk­eiten. Dann dürfte Rom Hilfen vom Euroraum erwarten, die weder der ESM-Notfallfon­ds noch die EZB leisten können. Sollten außerdem Spekulante­n gegen das Land und die Gemeinscha­ftswährung vorgehen, gerät die Lage schnell außer Kontrolle.

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Foto: dpa Matteo Salvini und die Regierung in Rom wehren sich gegen strengere Auflagen aus Brüssel.

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