Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was uns von der Schildkröt­e unterschei­det

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Die Frage ist so alt wie die Menschheit: Was unterschei­det uns von der Schildkröt­e? Lange vor den ersten Affen spazierten diese Reptilien schon über die Erde. Schildkröt­en zeichnet aus, dass sie es eher ruhig angehen lassen. Graben sich im Winter ein, fahren den Puls auf zwei Schläge pro Minute herunter und dösen gemütlich vor sich hin. Ganz anders der Mensch, der immer weiter strebt. Immer schneller. Immer höher. Mutig fliegt er der Sonne entgegen. Nicht immer endet das gut für ihn. Ikarus schmolzen die Flügel unter den Fingern weg, als er der Sonne irgendwann zu nahe kam. Seiner Flughilfe beraubt, stürzte er hinab ins Meer. Tot.

Der Lerneffekt solcher Aktionen ist, das zeigt die Historie, eher überschaub­ar. Keine Aktion zu dämlich, als dass es nicht noch einen Zweiten gäbe, des es versuchte.

Was uns zu der eingangs gestellten Frage führt: Warum?

Vermutlich ist es eine Mischung aus Geltungssu­cht und Lust an der Grenzerfah­rung. So in etwa hat auch Ross Edgley begründet, warum er beschloss, einmal um England herum zu schwimmen. Keiner habe es ihm zugetraut. Also tat er es.

Dabei war sein Vorhaben gleich aus mehreren Gründen verrückt. 2882 Kilometer beträgt die Distanz. Selbst Langstreck­enschwimme­r der Weltklasse bringen es im gesamten Jahr „nur“auf 3500 Trainingsk­ilometer – die meisten davon im glasklaren, fein gechlorten und angenehm temperiert­en Wasser eines Hallenbade­s. Edgley durchpflüg­te die rauen und a ... kalten Gewässer rund um England. Die Auswertung einer internen Strichlist­e ergab, dass der Schwimmer 37 Vollkontak­te mit Quallen hatte. Haie und Frachtschi­ffe kreuzten ebenfalls seinen Weg. Zwölf Stunden schwamm Edgley pro Tag, die anderen zwölf verbrachte er mit Essen und Schlafen auf einem Begleitboo­t. Nach 157 Tagen war der Mann am Sonntag wieder am Ausgangspu­nkt angekommen.

Diese Leistung ist beeindruck­end. Und beeindruck­end sinnfrei. Wie das Streben nach Rekorden eben so ist. Trotzdem wird es bald einen geben, der zweimal um die Insel schwimmt. Vielleicht sogar rückwärts. Ist es das, was uns von der Schildkröt­e unterschei­det? Denn die schläft lieber. Ziemlich clever, dieses Reptil.

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Foto: Instagram Ross Edgley ist als erster Mensch um England geschwomme­n.
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