Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Und? Wann kommt das Geschwisterchen?
Jeder kann machen, was er will – so lange er nicht aus der Reihe tanzt
Glücklicherweise leben wir in einem freien Land. Rede-, Religions-, Meinungsfreiheit – tolle Errungenschaften, die keinesfalls selbstverständlich sind. Geht man mit offenen Augen durch die Welt, sieht man das Ergebnis: lauter Individuen. Jeder kann und darf machen, was er mag. Das war lange Zeit meine Überzeugung. Doch der Schein trügt!
Dass dem so ist, wurde mir klar, als die Menschen um mich herum anfingen, sich zu vermehren. Aus den Individuen wurden ganz spießig Ehepaare und kurze Zeit später Familien. Auch ich reihte mich ein. Zu meinem Glück gehört sogar noch ein Reihenhäuschen in der Vorstadt. Ganz klassisch, ganz spießig. Aber ich find’s herrlich! Ich bin gerne verheiratet, finde es toll, meine eigenen vier Wände zu besitzen. Wohlgemerkt: Ich hab mir das selbst so rausgesucht und nicht, weil ich damit irgendwelchen Vorstellungen entsprechen will.
Das Individuum in mir hat sich freiwillig und aus vollster Überzeugung für diesen Weg entschieden. Freiheit eben. Mein Weg, meine Entscheidung – ich bitte, das zu akzeptieren. Aber ich hatte die Rechnung ohne die anderen gemacht. Wenige Monate nach der Heirat hieß es auf einmal: „Und, wann kommt das erste Kind?“Ich war bass erstaunt. „Was geht das die anderen an?“, fragte ich mich. Ein gewisser Druck wurde auf mich ausgeübt, mal bewusst, mal nicht. Es passte so vielen so gar nicht ins Weltbild, dass ich mich nicht (mehr) so verhielt, wie ich es tun sollte. Wer aus der Reihe tanzt, braucht dafür aber bitteschön eine handfeste Begründung. Individualität? Fehlanzeige!
Dann kam mein Kind. Ich reihte mich also wieder ein. Die Welt um mich herum beruhigte sich – zumindest für eine Weile. Jetzt ist der Kleine knapp neun Monate alt. Und jetzt geht die Fragerei von vorne los! Das Interesse gilt Kind Nummer zwei.
Es ist schon erstaunlich: Ein Kind ist keins, zwei sind die Norm. Und drei? Zu viel des Guten! Von weiteren Sprösslingen mal ganz zu schweigen. Sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen leben zu dürfen, ist ein hohes Gut. Die Voraussetzungen dafür haben wir. Doch das tatsächlich auch umzusetzen, dafür braucht es Mut.