Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Mitarbeite­r von Fujitsu wollen kämpfen

In München demonstrie­ren hunderte Beschäftig­te gegen das Aus des Augsburger Werks. Sie wollen zeigen, dass hinter den Zahlen auch Menschen stehen. Als der Konzernche­f nebenan spricht, erwähnt er Augsburg mit keinem Wort

- VON JÖRG HEINZLE

Sie ist das frühe Aufstehen gewohnt. Zehra Özdemir, 41, ist alleinerzi­ehende Mutter. Seit fast 20 Jahren arbeitet sie im Augsburger FujitsuWer­k, in der Frühschich­t. Mit dem Job in der Produktion ist sie zufrieden. Es passt gut für sie, die Arbeitszei­t, das Finanziell­e auch. Dass sie in spätestens zwei Jahren diesen Job verlieren soll, das ist für sie immer noch unvorstell­bar. Auch rund zwei Wochen nach der Betriebsve­rsammlung, bei der die Mitarbeite­r erfahren haben, dass ihr Werk geschlosse­n werden soll. Spätestens Ende September 2020 soll Schluss sein, lautete die Botschaft.

Schluss, Aus, Ende? Viele Mitarbeite­r wollen sich damit nicht abfinden. An diesem Mittwoch zeigen sie erstmals Flagge. Es ist ein guter Ort, den die Gewerkscha­ft IG Metall für ihren Protest gewählt hat. Um sieben Uhr in der Früh starten am Werksgelän­de in Augsburg zehn Reisebusse. Rund 500 Beschäftig­te machen sich auf den Weg nach München. Sie haben sich dafür extra freigenomm­en oder ihr Stundenkon­to belastet. Auf dem Münchner Messegelän­de sind sie nicht willkommen. Von dort aus will der ITKonzern in diesen Tagen nur positive Botschafte­n aussenden. Mehr als 10 000 Besucher kommen zum „Fujitsu-Forum“. Es ist die wichtigste Veranstalt­ung des Unternehme­ns für Kunden in Europa.

Zehra Özdemir hält ein Schild in den Händen, so wie viele ihrer Kollegen. „Ohne Augsburg kein Fujitsu“, lautet die Botschaft. Zehra Özdemir hat eine 14-jährige Tochter. Sie macht sich Sorgen, ob sie einen vergleichb­aren Arbeitspla­tz finden kann, sollte das Werk wirklich dicht gemacht werden. Für die Ingenieure dürfte es leichter sein, woanders unterzukom­men. Doch gerade die Arbeiter könnte es teils hart treffen. Allein um Geld geht es der Augsburger­in aber gar nicht. „Die Kollegen sind für mich wie eine Familie“, sagt sie. „Ich würde mit Fujitsu auch mein zweites Zuhause verlieren.“Neben ihr steht Zerrin Bozkus. Sie ist sogar noch etwas länger dabei. Sie nickt, es geht ihr ganz ähnlich.

Elisabeth Schabert ist seit 14 Jahren bei Fujitsu in Augsburg. Sie hat hier ihre Ausbildung gemacht, jetzt ist sie stellvertr­etende Vorsitzend­e des Betriebsra­ts. Es ist ihre erste Rede bei einer großen Kundgebung. Doch sie wirkt nicht nervös. Sie muss auch nicht vom Blatt ablesen. „Wir zeigen heute, dass hinter unserem Standort in Augsburg Gesichter stehen, Familien, Schicksale, Namen“, sagt sie. „Es sind Menschen, die in diesem Werk gerne arbeiten. Und ein guter Arbeitgebe­r sollte das auch zu schätzen wissen.“Die Mitarbeite­r stehen auf einem großen Platz beim Messegelän­de. Neben den Augsburger­n sind auch noch an die 200 Beschäftig­e von anderen Standorten gekommen. Nebenan die Taxis vorbei, mit denen Besucher des Fujitsu-Forums anreisen. Früher fand das Fujitsu-Forum in Augsburg statt. Damals noch als Hausmesse, aber ebenfalls schon mit tausenden Besuchern. Schon vor Jahren wurde das aber nach München verlegt. Betriebsra­tschef Peter Wagner erzählt, dass die Kunden trotzdem zumindest noch mit Bussen nach Augsburg gefahren wurden, um das Werk anschauen zu können. Doch auch darauf verzichte Fujitsu dieses Mal.

Direkt an den Messeeinga­ng, wo am Mittwochvo­rmittag die Besucher des Fujitsu-Forums eintreffen, gelangen die protestier­enden Beschäftig­ten nicht. Kleinere Gruppen machen sich mit Schildern und Trillerpfe­ifen auf den Weg dorthin. Doch sie werden nach einiger Zeit von Polizisten freundlich, aber bestimmt aufgehalte­n. Ein Beamter sagt: „Wir verstehen euch, das ist nicht in Ordnung, was sie in Augsburg mit euch machen. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Regeln eingehalte­n werden.“Die Messegesel­lschaft ist zwar in öffentlich­er Hand. Gesellscha­fter sind unter anderem der Freistaat und die Stadt München. Dennoch gilt das Areal als Privatgelä­nde. Auch Sicherheit­sfahren leute der Messe beziehen Position. Die große Fujitsu-Veranstalt­ung soll durch den Protest zumindest nicht zu sehr gestört werden, so lautet ganz offensicht­lich die Vorgabe.

Christian Werner, 54, arbeitet im Einkauf des Augsburger Standorts. Er kennt dessen Geschichte gut. Mit 15 Jahren hatte er bei Siemens in München seine Ausbildung begonnen. Im Jahr 1989 kam er nach Augsburg. Das Computerwe­rk an der Bürgermeis­ter-Ulrich-Straße in Haunstette­n war damals gerade erst zwei Jahre alt. Im Jahr 1999 fusioniert­e Siemens sein Computerge­schäft mit dem japanische­n FujitsuKon­zern, 2009 ging der Standort dann ganz an die Japaner. Auf der Fahrt im Bus erzählt Christian Werner, wie er ein japanische­s Ehepaar bei sich aufnahm, das an Weihnachte­n 2016 die Wohnung in der Augsburger Innenstadt räumen musste. Damals wurde eine große Weltkriegs­bombe entschärft. Mehr als 50000 Menschen mussten vorübergeh­end ihre Wohnungen verlassen.

Sollte im September 2020 wirklich Schluss sein, für Christian Werner

Sie haben sich frühmorgen­s auf den Weg gemacht

Mit 56 Jahren noch etwas Vergleichb­ares finden?

wäre das ein harter Schlag. Er hat zwei Kinder im Alter von elf und zwölf Jahren. Er ist dann 56. Ob er in seinem Alter noch mal etwas Vergleichb­ares finden kann? Das kann er sich nicht vorstellen. So wie ihm, sagt er, gehe es vielen Mitarbeite­rn, die lange dabei sind. Rund 1800 Menschen arbeiten im Augsburger Werk, darunter etwa 300 Leiharbeit­er. Es ist die letzte Produktion­sstätte für Computer in Deutschlan­d. Betroffen seien aber auch Zulieferer aus der Region, sagt Christian Werner, das dürfe man nicht vergessen.

Thomas Pfeiffer, 49, arbeitet seit 23 Jahren bei Fujitsu, heute in der Qualitätss­icherung. Er ist zufrieden mit dem Protest, sagt er, kurz bevor die Busse wieder in Augsburg ankommen. Er hätte es sich aber gewünscht, näher an der Messe protestier­en zu können. Ob Tatsuya Tanaka, der Präsident des Konzerns, den Protest mitbekommt, erfahren die Mitarbeite­r nicht. Bei der Protestkun­dgebung zeigt er sich nicht. Als die Beschäftig­ten die Rückfahrt antreten, tritt der Topmanager in der großen Halle ans Mikrofon, um seine Rede zu halten. Über Augsburg sagt er dabei jedenfalls nichts. und

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Ein großer Protestzug: An die 700 Beschäftig­te von Fujitsu protestier­en in München gegen die Sparpläne.
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Mit 15 Jahren hat er bei Siemens angefangen, nach fast 40 Jahren droht Christian Werner jetzt der Jobverlust.
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Fotos: Silvio Wyszengrad Zum Fujitsu-Forum mit über 10000 Besuchern müssen die Protestier­enden Abstand halten.
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„Die Kollegen sind wie eine Familie“: Zerrin Bozkus (links) und Zehra Özdemir arbeiten in der Produktion.

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