Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Kein Stress mit der Ernährung“
Ernährungsexpertin erklärt, warum Menschen ab dem 55. Lebensjahr genauer auf ihre Lebensmittel schauen sollen
Frau Wenninger, Sie haben sich verstärkt mit dem Thema „Essen ab der Lebensmitte“beschäftigt. Was bedeutet das?
Angelika Wenninger: Mein jüngster Vortrag in Stadtbergen hatte den Titel „Genussvoll und gesund essen ab der Lebensmitte“und dabei ist jedes Wort wichtig. Viele glauben nämlich, dass man sich nicht gleichzeitig mit Genuss und trotzdem gesund ernähren kann. Ich will zeigen, dass es funktioniert und dass man entspannt an die Thematik herangehen kann. Es gibt kein Muss, kein Richtig oder Falsch, man kann mit sich selbst viele Kompromisse aushandeln und hat einen großen Handlungsspielraum.
Haben Sie ein konkretes Beispiel? Wenninger: Jeder weiß, dass Gemüse wichtig ist. Viele glauben, dass sie es nicht schaffen, genügend davon zu essen. Die empfohlene Menge von drei Portionen am Tag ist aber durchaus machbar. Eine Portion bezieht sich ungefähr auf eine Handvoll, bei Blattsalat auf zwei. Dabei muss es nicht immer frisches Gemüse sein. Auch tiefgefrorener Blattspinat oder sogar Dosentomaten enthalten viel Gutes. Man könnte also einfach einen kleinen Salat zum Mittagsgericht oder eine Gemüsebeilage zur Hausmannskost zu sich nehmen. Abends dann noch ein paar Tomaten zur Brotzeit, so leicht lässt sich die empfohlene Menge erreichen.
Sie haben von Tiefkühlkost gesprochen, ist die denn zu empfehlen? Wenninger: Ich empfehle, naturbelassene Produkte zu kaufen und zu verwenden. Tiefgefrorener Brokkoli ohne Zusatzstoffe ist ein Beispiel und viel gesünder als „Buttergemüse Farmer Art“oder ähnliche Produkte. Das Buttergemüse zu essen ist aber wiederum besser, als ganz auf Gemüse zu verzichten.
Warum der Zusatz „ab der Lebensmitte“? Wenninger: Etwa im sechsten Jahrzehnt unseres Lebens stellt sich der Körper um und benötigt weniger Energie. Davor können wir uns lange Jahre mehr oder weniger beliebig versorgen, aber irgendwann stößt der Körper an seine Grenzen. Viele Menschen nehmen zu, weil sie ihre Ernährung nicht auf die neuen Voraussetzungen einstellen. Eine Nulldiät ist aber auch keine Lösung, da wir genauso viele Vitamine, Ballaststoffe und Mineralien brauchen wie vorher. Ab einem Alter von ungefähr 55 Jahren sollte man also genauer hinschauen.
Wovon würden Sie abraten? Wenninger: Von zuckergesüßten Getränken. Die enthalten viele Kalorien und wir sollten uns nicht satttrinken. Außerdem sollte man auf stark verarbeitete Fleischwaren, wie Aufschnitte oder die in Bayern so beliebten Würste, verzichten. Meine Empfehlung ist, naturbelassenes Fleisch zu essen, bei dem man die Fasern noch sieht. Eine Rindsroulade oder eine Putenbrust zum Beispiel.
Welche Tipps haben Sie für ältere Menschen, denen es schwerfällt, zu kochen?
Wenninger: Da geht es schon bei der Frage los: Was kaufe ich ein? Auch hier empfehle ich, mit Lebensmitteln zu arbeiten, die lange haltbar aber naturbelassen sind. Also tiefgekühltes Gemüse oder Konserven wie grüne Bohnen oder Blaukraut. Solche Produkte erleichtern das Kochen, und man braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, denn sie enthalten noch immer viel Gutes.
Food-Pakete, bei denen alle Zutaten, die man für ein bestimmtes Gericht braucht, angeliefert werden, sind im Trend. Was halten Sie davon? Wenninger: Auch die sehe ich als Erleichterung. Ob sie sinnvoll zusammengestellt sind, hängt allerdings stark vom Anbieter ab. Das Kochen einfacher machen können auch die sogenannten „Fünf-Zutaten-Rezepte“, die mittlerweile überall zu finden sind.
Und was, wenn ich nicht kochen kann? Wenninger: Grundsätzlich sollte man sich in Sachen Ernährung keinen Stress machen. Schauen sie nach, an welchen Tagen sie es zeitlich schaffen, zu kochen. Auch wenn da nur das Wochenende übrig bleibt, ist das nicht schlimm. Es gibt viele Verpflegungsmöglichkeiten, die nicht Pommes mit Currywurst sind. Gemüsewraps, frisch zusammengestellte Salatschüsseln oder saisonale Eintöpfe sind gute Alternativen. Man findet mittlerweile ein großes Angebot. Interview: Tobias Karrer
Angelika Wenninger: Seit 1997 selbstständige Ernährungsberaterin, seit 2014 eigene Praxis in Stadtbergen. 1990 machte sie ihr Diplom an der Universität Gießen.