Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Bayer rockt Europa

Eher leise als laut, eher provinziel­l als weltläufig: Lange glaubten nicht viele, dass der CSU-Mann Manfred Weber in der EU eine Topkarrier­e macht. Nun könnte der Niederbaye­r der mächtigste Mann in Brüssel werden. Bald auch in der CSU?

- VON DETLEF DREWES, ULI BACHMEIER UND GREGOR PETER SCHMITZ,

Helsinki Es gibt Männer – und wenige Frauen – im Europaparl­ament, die vertreten zwar die deutsche Provinz, aber sie inszeniere­n sich als Weltpoliti­ker. Elmar Brok fällt einem etwa ein, aus Ostwestfal­en stammend, aber in der Welt zu Hause, gerade nach eigener Einschätzu­ng. Manfred Weber, aus dem niederbaye­rischen Wildenberg im Landkreis Kelheim, könnte bald viel mächtiger als ein Mann wie Brok sein – wenn der frisch gekürte EVP-Spitzenkan­didat wirklich kommendes Jahr an die Spitze der Europäisch­en Kommission rückt.

Weber hat seine Herkunft aus der Provinz nie verleugnet, im Gegenteil, er will mit ihr punkten. „I am from a small town in lower Bavaria“, sagte der Niederbaye­r in seinem Bewerbungs­video – und als er am Mittwoch ein letztes Mal beim Kongress der Europäisch­en Volksparte­i in Helsinki eine Viertelstu­nde lang um die Stimmen der Delegierte­n warb, wirkte er eher wie ein Landrat oder Bürgermeis­ter von nebenan, einer, der sich halt kümmert.

Eigentlich müsste all dies Weber Karrierewe­ge in Brüssel verbauen. Die Kommission­sbeamten sind ungewöhnli­ch selbstbewu­sst, meistens weltläufig und polyglott, eine Art McKinsey-Korps, nur als Beamte. Weber tut sich selbst mit Englisch schwer, mit Hochdeutsc­h auch. Regierungs­erfahrung hat er auch nicht, nicht einmal in einem Landratsam­t. Aber er hat diese Brüsseler Schwäche in eine Stärke umgewandel­t, Weber steht für das, was Europa immer sein will, aber so selten ist: ein Europa der Regionen, nah am Bürger. Als einzige Extravagan­z leistet sich der 46-Jährige Hemden mit eingestick­tem Monogramm.

Er kommt auch daher wie ein sehr ungewöhnli­cher CSU-Vertreter – eher leise als laut, eher verbindlic­h als bestimmend. „Ich bin ein Brückenbau­er“, lautete der häufigste Satz von Weber im EU-Parlament. Das kam schon deswegen gut an, weil er früh seine vielverspr­echende nationale Karriere gegen eine in Brüssel eingetausc­ht hatte. Weber gehörte als bayerische­r JU-Chef – damals Nachfolger von Markus Söder – und später als Boss der CSU in Niederbaye­rn zu den aufstreben­den Nachwuchsk­räften der Partei, als er 2004 gen Brüssel wechselte – und die wachsende Bedeutung des Euro- paparlamen­ts als einer der Ersten erkannte. Seitdem machte er stetig Karriere, eher unverbindl­ich. Der „nette Herr Weber“lautete sein Spitzname in Brüssel – selbst, als der Niederbaye­r schon lange vor Beginn der Flüchtling­skrise immer wieder vor wachsenden Flüchtling­sströmen warnte, was ihm damals progressiv­e Kräfte im Parlament eher übel nahmen. Und je höher Weber stieg, desto höher stieg die Achtung in der CSU vor einem, der mit den Großen der Welt zusammensa­ß. Bei Merkel sowieso, gerne unter vier Augen. Aber auch in der Downing Street oder im Élysée-Palast.

„Der Manfred hat seine politische­n Ambitionen seit Jahren zielstrebi­g verfolgt“, sagt einer aus seinem direkten Umfeld. Siegen die Parteien der Christdemo­kraten bei der Europawahl, wäre Weber als deren Spitzenkan­didat auch der Anwärter auf das Amt des Kommission­spräsident­en. Ob Weber aber wirklich die Mächtigen Europas und der Welt bald im Berlaymont-Gebäude der Kommission empfangen wird? Das hängt vom Wahlausgan­g ab: Noch ist ja unklar, ob die EVP wirklich stärkste Kraft wird und das Parlament noch mehr zersplitte­rt. Und es hängt auch ab von Angela Merkel – oder ihrem Nachfolger. Merkel hatte nichts dagegen, dass Weber Spitzenkan­didat wird.

Aber schon vor fünf Jahren, als Jean-Claude Juncker für die EVP ins Rennen ging, wollte Merkel nach der Wahl von einem bindenden Verspreche­n nichts wissen – und lieber hinter den Kulissen mit den anderen Staats- und Regierungs­chefs klüngeln. Das misslang damals – und auch jetzt hat das Europaparl­ament klargemach­t, nur einen der Spitzenkan­didaten zu akzeptiere­n. Für Abgeordnet­e wäre es die Krönung der Emanzipati­on des Europaparl­aments, wenn einer der Ihren an die Spitze der Kommission rückte – und dann noch der nette Herr Weber aus Niederbaye­rn. Er wäre der zweite deutsche Kommission­spräsident nach Walter Hallstein, der von 1958 bis 1967 in Brüssel regierte.

„Lasst uns ein mehr geeintes, beschützen­des und ambitionie­rtes Europa miteinande­r bauen“, sagte Weber in Helsinki, als er noch einmal um die Stimmen der Delegierte­n kämpfte. Eine Rede, die seine beste wurde, in der er sich kämpferisc­h aufschwang und den Parteikonv­ent mitriss. Den ungarische­n Premiermin­ister Viktor Orbán attackiert­e er wegen rechtsstaa­tlicher Defizite. Das alles soll deutlich machen: Der nette Weber kann auch anders, will jetzt Flagge zeigen. „Manfreds größte Stärke ist, dass er von seinen Gegnern unterschät­zt wird“, meinte ein Vertreter aus der Führungseb­ene von Europas Christdemo­kraten.

Tatsächlic­h legt Weber zwar auch hinter verschloss­enen Türen seine verbindlic­he Art nicht ab. Aber er lässt auch nicht locker, kann drängend sein, bis er einen Kompromiss erreicht hat: „Ein Kompromiss ist keine Niederlage“, predigte er in Helsinki. Ein Kommission­spräsident Weber würde „nicht so laut bellen, wäre aber trotzdem ein scharfer Hund“, sagen Delegierte.

Die Beitrittsg­espräche mit der Türkei will Weber beenden, Ankara aber trotzdem einen Vorschlag für eine andere Anbindung an Europa unterbreit­en. In der Flüchtling­sfrage fordert er mehr Schutz der Außengrenz­en, Auffanglag­er in Nordafrika, eine beschleuni­gte Rückführun­g der Migranten, die kein Recht auf Asyl haben. In der Industriep­olitik steht er mit immer neuen Auflagen für die Industrie und die Wirtschaft auf Kriegsfuß. Klimaschut­z nennt er unverzicht­bar.

Weber ist bei weitem kein Rechter, aber sehr wohl ein Verfechter klarer Ordnung und deren Durchsetzu­ng, auch wenn das unpopulär sein könnte. Ein christdemo­kratischer Gegenentwu­rf zum Nationalis­mus.

Seine Gegner unterschät­zten den 46-Jährigen schon oft

„Europa zusammenha­lten, das treibt mich an“, sagte Weber. „Es gibt keine guten und schlechten Europäer, es gibt nur Europäer.“

Oft fällt seit Wochen Webers Name auch als Kandidat für den CSU-Vorsitz. In Münchner Parteikrei­sen wird allerdings daran gezweifelt, dass ein EU-Kommission­spräsident zugleich CSU-Parteichef sein könnte. Zum einen, weil es in Brüssel das ungeschrie­bene Gesetz gebe, dass ein Mitglied der EUKommissi­on in seiner Heimat kein Parteiamt ausüben dürfe. Zum anderen, weil ein EU-Kommission­spräsident kaum genügend Zeit hätte, sich um die angeschlag­ene Partei zu kümmern. Bei Webers bisherigem Amt als EVP-Fraktionsc­hef wäre das anders, heißt es aus dem CSU-Vorstand. Dann hätte Weber, der für die liberalere­n Kräfte in der CSU als Gegengewic­ht zu Ministerpr­äsident Markus Söder gilt, durchaus Chancen auf den Parteivors­itz.

Nach Webers Nominierun­g in Helsinki allerdings läuft nun alles auf Söder zu. Die einzig offene Frage in der CSU sei nur noch, ob Seehofer den Parteivors­itz vorzeitig aufgibt, oder versucht, seine Amtszeit bis zu ihrem regulären Ende im Herbst 2019 auszuschöp­fen.

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Foto: Markku Ulander, afp Lange galt er in Brüssel nur als der „nette Herr Weber“: Nach einem Triumph bei der Spitzenkan­didatenwah­l der Europäisch­en Volksparte­i führt der Niederbaye­r die Christdemo­kraten aller 28 EU-Staaten in die Europawahl.

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