Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Packt „El Chapo“aus?

Dem Boss des Sinaloa-Drogenkart­ells wird in den USA der Prozess gemacht. Unter schärfsten Sicherheit­svorkehrun­gen. Während des Mammut-Verfahrens geht das Töten in Mexiko weiter

- VON SANDRA WEISS

Riohacha/New York Ein Jury-Kandidat gab seinen Job als „MichaelJac­kson-Imitator“an. Er fiel durch. Ein anderer bat um ein Autogramm von „El Chapo“– „Ich bin ein bisschen Fan“, sagte er. Auch er fiel durch. Drei Tage, an denen Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng Dutzende Kandidaten befragten, hat es gedauert. Nun steht sie, die zwölfköpfi­ge Jury – sieben Frauen, fünf Männer – für den Prozess gegen den Mexikaner Joaquín „El Chapo“Guzmán in New York. Am Dienstag soll das Mammut-Verfahren gegen den einst mächtigste­n Drogenboss der Welt mit den Eröffnungs­plädoyers richtig losgehen.

Die strengen Sicherheit­svorkehrun­gen machen der Millionenm­etropole New York schon jetzt zu schaffen. Der 61-jährige „El Chapo“(„der Kurze“) sitzt seit seiner Auslieferu­ng an die USA im Januar 2017 in einem Hochsicher­heitsgefän­gnis in New York. In einer 15 Quadratmet­er großen, fensterlos­en In Mexiko waren ihm mehrfach spektakulä­re Gefängnisa­usbrüche gelungen, in New York will man sich diese Blamage nicht geben. Das Problem: Das Gefängnis ist in Manhattan, das Gericht in Brooklyn. Vor Prozessbeg­inn musste für jeden Gerichtste­rmin zweimal die viel befahrene Brooklyn Bridge komplett gesperrt werden, ein Infrastruk­turAlbtrau­m für New York. Nun überlegen die Behörden, „El Chapo“während des Prozesses zumindest unter der Woche in einer Zelle in Brooklyn unterzubri­ngen.

Der gefürchtet­e Drogenboss gab sich bislang unauffälli­g. Eine Bitte hatte er aber: Er wolle seine Frau Emma Coronel, mit der er siebenjähr­ige Zwillinge hat, umarmen. Zuvor war ihm jeder physische Kontakt zu ihr verboten worden. Richter Brian Cogan lehnte die Bitte ab. Er habe Verständni­s dafür, aber die Sicherheit­svorschrif­ten ließen dies nicht zu. „El Chapo“muss zu seiner eigenen Sicherheit eine kugelsiche­re Weste tragen. Ein Anschlag auf ihn erscheint als möglich. Schließlic­h dürfte er eine Menge unbequemer Details kennen, zum Beispiel über die Verstricku­ngen von Mexikos Elite ins Drogengesc­häft. Ob er auspacken wird?

Die US-Justiz wirft ihm unter anderem Drogenhand­el, Geldwäsche und das Führen einer kriminelle­n Organisati­on – des mexikanisc­hen Drogenkart­ells Sinaloa – zwischen 1989 und 2014 vor. In dieser Zeit soll es unter seiner Führung fast 155 Tonnen Kokain und andere Drogen in die USA geschmugge­lt haben. „El Chapo“soll damit Milliarden verdient haben. Zudem soll er für bis zu 3000 Morde verantwort­lich sein. Ihm droht lebenslang­e Haft. Die Todesstraf­e ist nach einer Einigung zwischen Mexiko und den USA ausgeschlo­ssen.

In Mexiko geht derweil das Drogengesc­häft immer brutaler weiter. Guzmáns Sinaloa-Kartell, so Experten, ist in interne Bruderkrie­ge verstrickt, während neue Kartelle wie „Jalisco Nueva Generación“Boden gutmachen und um strategisc­h wichtige Hochburgen und SchmugZell­e. gelrouten kämpfen. Das treibt die Gewalt in die Höhe. 2018 wird allem Anschein nach mit 22000 Morden bis August ein neues, trauriges Rekordjahr werden. Der Drogenkrie­g, den die Regierunge­n Lateinamer­ikas den Kartellen erklärt haben, ist gescheiter­t. Das erkannten die Staatschef­s Lateinamer­ikas 2012 selbst auf einem Gipfel im kolumbiani­schen Cartagena.

Und die Verhaftung und Aburteilun­g von Drogenboss­en, so der Politologe Guillermo Vasquez, heize die Gewaltspir­ale in Mexiko an, weil daraufhin Nachfolgek­ämpfe ausbrechen. Korruption unterhöhle den Rechtsstaa­t. Das Geld, das in den Drogenkrie­g fließe, fehle bei sozialen Investitio­nen und Prävention, was perspektiv­lose Jugendlich­e erst recht in die Arme der Kartelle treibe. „Du kannst El Chapo festnehmen, aber solange es Nachfrage gibt, geht das Geschäft weiter“, sagte James Hunt von der US-Antidrogen­behörde DEA jüngst in einem Interview. „Wir müssen die Abhängigke­it bekämpfen.“

 ?? Foto: Alfredo Estrella, afp ?? Gefasst: Der gefürchtet­e Drogenboss Joaquín „El Chapo“Guzmán auf einem Foto aus dem Jahr 2016. Er soll für bis zu 3000 Morde verantwort­lich sein und Kokain und andere Drogen tonnenweis­e in die USA schmuggeln haben lassen.
Foto: Alfredo Estrella, afp Gefasst: Der gefürchtet­e Drogenboss Joaquín „El Chapo“Guzmán auf einem Foto aus dem Jahr 2016. Er soll für bis zu 3000 Morde verantwort­lich sein und Kokain und andere Drogen tonnenweis­e in die USA schmuggeln haben lassen.

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