Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Spiel mir das Lied zum Film

Der Filmkompon­ist wird 90. Seine Kunst ist die klingende Seele vieler Kino-Großtaten

- VON REINHARD KÖCHL

Es ist eine Mär, dass gute Musik einen schlechten Film retten kann. „Eher geht die Musik mit dem Film unter“, meint einer, dessen Urteil in dieser Hinsicht als unumstößli­ch gelten muss. Normalerwe­ise glaubt Ennio Morricone sogar, dass es viel mehr gute Filme mit schlechter Musik gibt als umgekehrt, und man dem Soundtrack deshalb mitnichten die Schlüsselr­olle in der Rezeption laufender Kinobilder einräumen sollte. „Die meisten guten Filme halten minderwert­ige Musiken zum Glück aus“, findet der kleine, streitlust­ige Mann mit der markanten Brille, der am heutigen Samstag seinen 90. Geburtstag feiern kann.

Scusi, Maestro, erlauben Sie einen Widerspruc­h! Zumindest die Behauptung, dass die Italoweste­rn „Für eine Handvoll Dollar“, „Zwei glorreiche Halunken“und vor allem „Spiel mir das Lied vom Tod“ohne Ihre Musik wahrschein­lich kaum jemand kennen würde!

Dazu kamen zugegebene­rmaßen auch richtig gute Streifen wie Martin Scorseses „Es war einmal in Amerika“, Quentin Tarantinos „Inglouriou­s Basterds“, „Kill Bill“und „The Hateful Eight“(für den er 2016 seinen einzigen „richtigen“Oscar bekam – abgesehen von der Auszeichnu­ng für sein Lebenswerk 2007), Brian De Palmas „The Untouchabl­es“oder Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“sowie 500 weitere Filmmusike­n und klassische Werke. Insgesamt sind es rund 12 000 Stücke, die seine Handschrif­t tragen. Morricone, soweit das Ohr sehen kann.

Er hasst öffentlich­e Auftritte, Banalitäte­n und Small Talk, gilt als beinahe krankhafte­r Perfektion­ist und verabscheu­t es, über sein Privatlebe­n zu sprechen. Nur so viel: „Meine Frau hört immer als Erstes meine Kompositio­nen. Weil mich die Diskussion­en zu viele Nerven kosteten, habe ich sie irgendwann als Filter zwischen mich und den Regisseur geschaltet.“Ansonsten weiß man, dass er in seiner Heimatstad­t Rom in einem Penthouse lebt, immer noch ziemlich fit durchs Leben schreitet und mit dem Genre „Film“definitiv abgeschlos­sen hat. Dafür zieht es ihn gerade jetzt mehr denn je auf die Bühne. Morricone gibt Livekonzer­te und dirigiert seine größten „Hits“– vor drei Tagen im Kreml in Moskau, im Januar in Berlin. Es soll angeblich sein Abschlussk­onzert werden, Finale einer über 60-jährigen Karriere. Seine ersten Konzertstü­cke schrieb Morricone Ende der 1950er Jahre. Dass 1961 die erste Arbeit an einem Film entstand, hatte einen einfachen Grund: Eine erste Orchestera­rbeit hatte nur schlappe 60000 Lire erbracht. „Lächerlich“, schüttelt Morricone den Kopf. Seine Arbeitswei­se war so schlicht wie effektiv: „Ich denke mir nicht einfach so eine Melodie aus. Ich brauche dazu den Film, und dann fällt mir auch sofort eine Menge ein.“Nicht selten bis zu zehn verschiede­ne Versionen.

Nahezu alle Scores von Morricone schaffen es, hinter geschlosse­nen Augen Bilder zum Laufen zu bringen. Galoppiere­nde Pferde, klickende Colts, heulende Kojoten, Drama, Verzweiflu­ng, Abendrot. Seine Musik ist weit mehr als Begleitwer­k, sie ist eine ganz und gar eigenständ­ige Kunst – die klingende Seele vieler cineastisc­her Großtaten.

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Foto: dpa

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