Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ganz im Osten
An der äußersten Grenze des Landkreises gibt es nicht nur viel Obst, sondern auch ein zweites Königsbrunn. Wie ein Ehepaar in Ellgau eine neue Heimat in einem ehemaligen Gasthof gefunden haben
Landkreis Augsburg In Thierhaupten fällt sofort der Trubel am Haus des Obst- und Gartenbauvereins auf. Eine Reihe von Autos, viele mit Anhänger, stehen vor einem großen Tor – es ist der letzte Tag, an dem die Mosterei geöffnet ist. „Hier wird sechs Tage die Woche von 8 bis 18 Uhr Saft gepresst“, sagt Alfred Kinlinger vom Obst- und Gartenbauverein. Dann erklärt er, wie es funktioniert: „Die Leute liefern ihre Äpfel an, diese werden gepresst, erhitzt, und dann bekommt jeder seinen eigenen Saft.“Seit dem 24. August ist die Mosterei schon in Betrieb. Die Resonanz ist gewaltig: „So viel Obst wie heuer gab es noch nie“, sagt Arnold Herzog, der beim Mosten hilft. Für die Mosterei in Thierhaupten ist 2018 ein absolutes Rekordjahr: „Wir waren die Ersten, die angefangen haben, und sind die Letzten, die aufhören“, sagt Herzog, während Elias Ruf mit einer Kelle in dem Bottich rührt, in den die Äpfel als Erstes fallen. Selbst am letzten Tag müssen Herzog, Ruf und viele andere Helfer die große Maschine noch bis 17.30 Uhr am Laufen halten.
Mit Äpfeln im Rucksack geht es ins vier Kilometer entfernte Neukirchen, den östlichsten Ort des Landkreises Augsburg. Der Weg führt entlang der Straße, vorbei an herbstlich bunten Wäldern. Von Westen aus fällt nicht etwa der Kirchturm ins Auge, sondern die Gewerbehallen auf dem Hügel. Daran scheiden sich die Geister. Eine Leserin hatte schon im Vorfeld der Wanderung darauf hingewiesen, dass Neukirchen durch das Gewerbegebiet verschandelt worden sei.
In Neukirchen ist es ruhig, auf der Straße ist niemand unterwegs. Der aufwendig gestaltete Maibaum fällt auf. Direkt daneben hängt an einem Gartenzaun eine unscheinbare Tafel, die Kerzen und Geschenkartikel bewirbt. Therese Lösch präsentiert ihr Sortiment. Sie hat sich auf Hochzeitsund Kommunionskerzen spezialisiert, die sie von Hand gestaltet. „Bei mir ist jetzt dann Hochsaison, die Zeit der Kommunionen geht bald los“, sagt Lösch. Ihre Spezialität seien außerdem Fotokerzen. Zusammen mit einem befreundeten Chemiker habe sie das Verfahren, das Wachs zu bedrucken, perfektioniert.
Auch Therese Lösch kennt die Kritik am Gewerbegebiet. Die Gründe für den Standort auf dem Hügel seien nicht nachvollziehbar gewesen, erklärt sie. Im Ort gefällt es ihr trotzdem. Seit 32 Jahren wohnt die Familie in Thierhaupten. Therese Lösch und ihr Mann sind keine gebürtigen Neukirchener und trotzdem schnell Teil der Ortsgemeinschaft geworden. „Hier finden so viele Veranstaltungen statt. Wer zum Beispiel zum Maibaumfest oder zum Schützenball geht, findet schnell Anschluss“, erklärt Lösch. Auch die Neukirchener Jugend halte zusammen. „Früher gab es auch eine Bank und einen Tante-Emma-Laden, die fehlen jetzt schon“, sagt sie. Zum Glück gibt es den Kindergarten noch immer.
Von Neukirchen aus geht die Wanderung weiter Richtung Königsbrunn. Nicht die Stadt im Süden Augsburgs, sondern ein Weiler nördlich von Thierhaupten – trotzdem eine weite Strecke. Ein Stück weiter im Lechtal, bei Ötz, ist Wolfgang Kinlinger gerade in seinem
Garten unterwegs. „Dass man am siebten November noch den Rasen mähen muss, das gab es ja noch nie“, sagt er. Seit 60 Jahren wohnt Kinlinger jetzt im Lechtal. Er zeigt auf das alte Bauernhaus neben seinem Wohnhaus. Hier sei er mit seinen sechs Brüdern aufgewachsen, zusammen mit Eltern und Großeltern hätten sie zu elft in dem Haus gewohnt.
Weiter Richtung Lech taucht irgendwann die imposante Staustufe bei Ellgau auf. Zwischen den Uferwäldern wirkt das Bauwerk fehl am Platz, aber immerhin gelangt man hier trocken auf die andere Seite. In Ellgau ist auch Werner Schöpf gerade bei der Gartenarbeit. Vor acht Jahren sind er und seine Frau von Augsburg aufs Land gezogen. Sie wohnen jetzt mit der Familie in einem Mehrgenerationenhaus, ein ehemaliger Gasthof, den sie selbst aufwendig renoviert haben. Schöpf genießt den Zugang zur Natur und die Weite der Landschaft. „Nicht einmal für Geld würde ich zurück in die Stadt gehen“, sagt er bestimmt.
Auf dem Weg nach Nordendorf bekommt man das Gefühl, wieder im weniger idyllischen Teil des Lechtals angekommen zu sein. Das Rauschen der Bundesstraße ist zu hören, der Blick fällt auf eine Tankstelle und ein Gewerbegebiet. Besser wird es im Ort. Vor allem der Friedhof leuchtet in der beeindruckenden Abendsonne. Nur die Baustelle im Zentrum, wo zwei neue Wohnhäuser für mehrere Parteien gebaut werden, ist überall deutlich zu hören.