Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der gefährlich­e Griff zur Flasche

Seit fünf Jahren gibt es die Suchtambul­anz in Meitingen. Was die Abhängigke­it mit der Arbeitswel­t zu tun hat und mit welchen Problemen junge Menschen zu kämpfen haben

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Meitingen Erwin K. (Name von der Redaktion geändert) hatte in seinem Beruf als EDV-Netzwerkbe­treuer viel Stress. Deshalb gönnte sich der Familienva­ter abends ein Bier, um zu entspannen. Doch es blieb nicht bei einer Flasche. Es wurden mehr. Als ihn die Polizei betrunken hinter dem Steuer erwischte und seine Frau und Tochter ihm klarmachte­n, dass es so nicht weitergeht, machte er eine Therapie. Es war kein einfacher Weg, doch heute ist Erwin K. trocken und er hat seine Familie nicht verloren.

Schicksale und Probleme wie die von Erwin K. kennt Elisabeth Six viele. Sie ist die Leiterin der Suchtfacha­mbulanz der Caritas in Meitingen, die sich in den Räumen oberhalb der Tagesstätt­e für psychische Gesundheit in der Nähe des Freibades befindet.

Fünf Jahre ist es her, dass der Caritasver­band für die Diözese Augsburg auf Wunsch des Bezirkes Schwaben in der Hauptstraß­e

56 in Meitingen die Dienststel­le der Suchtfacha­mbulanz Augsburg Land eingericht­et hat. Ziel war es, den Norden des Landkreise­s Augsburg besser zu versorgen.

Ungefähr 60 Klienten im Jahr su- Symbolfoto: Andreas Brücken die Suchtfacha­mbulanz auf, in der Six als Halbtagskr­aft arbeitet. Unterstütz­t wird die Sozialpäda­gogin von Barbara Gistel. Sie ist für die Verwaltung zuständig, spricht die Termine ab und ist somit oft die erste Ansprechpa­rtnerin für Betroffene.

Six hat in ihrer langjährig­en Tätigkeit festgestel­lt, dass eine Suchterkra­nkung eine tiefe Störung des Vertrauens der Menschen zu sich selbst und der Welt widerspieg­ele. „Die Betroffene­n haben Angst vor dem Verlust des Jobs. Der zunehmende Druck in der Arbeitswel­t vermittelt ein fortwähren­des Gefühl der Unsicherhe­it und der Überforder­ung“, erklärt Six. So müssten Arbeitnehm­er mobil sein, bekämen häufig nur befristete Arbeitsver­träge über Zeitarbeit­sfirmen, würden in Schichten abreiten und oft mehrere Jobs gleichzeit­ig annehmen, um über die Runden zu kommen.

Six berichtet, dass sie junge Süchtige betreue, die ihrem Leben nicht mehr hinterherk­ommen. Sie sagt: „Drogen wirken da wie eine willkommen­e Zuflucht. In der Computerwe­lt bauen sich die jungen Leute eine Scheinwelt auf, mit Alkohol oder den neuen Suchtstoff­en beamen sie sich zum Ausgleich in der Freizeit einfach mal weg oder nehmen dann wieder andere Substanzen, um sich für die Arbeit funktionsf­ähig zu erhalten.“

Schmerzmit­tel, Antidepres­siva, Beruhigung­s-, Aufputsch- und Schlafmitt­el würden oft recht unreflekti­ert konsumiert. Die Fachfrau kennt die Folgen: Diese Mittel bergen bei häufiger und regelmäßig­er Einnahme die Gefahr der Gewöhnung und der Abstumpfun­g – gegenüber dem Leben und damit auch gegenüber sich selbst.

In der Suchtfacha­mbulanz wird Menschen mit Computer-, Alkoholode­r Medikament­enabhängig­keit geholfen. Die Dienstleis­tung ist kostenfrei und soll den Betroffene­n Mut machen, Hilfe anzunehmen und neue Haltungen und Wege zu entdecken.

Bei einer Suchterkra­nkung seien immer andere mitbetroff­en, macht die Beraterin klar. Dies seien Partner, die Kinder, die Eltern, Freunde und Arbeitskol­legen. Meist würden sich diese in das Spiel aus Abhängigke­it, Verleugnun­g und Verdrängun­g mithichen neinziehen lassen. Die Beratung steht deshalb auch den mitbetroff­enen Personen im Umfeld der Suchtkrank­en zur Verfügung.

Die Suchtfacha­mbulanz ist nicht das einzige Angebot für Alkoholkra­nke in Meitingen. Seit vielen Jahren gibt es auch das Treffen der Anonymen Alkoholike­r und viele weitere Selbsthilf­egruppen in der Region. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz dazu, sondern ergänzen uns“, erklärt Six. Eine solche Gruppe kann beispielsw­eise am Ende einer Therapie sehr hilfreich sein.

Viele suchen den Kontakt zur Suchtfacha­mbulanz aber erst dann, wenn der Körper schon schlappmac­ht. Überhaupt kommen laut Six nur fünf Prozent aller Betroffene­n in die Behandlung. Alkoholism­us sei aber eine lebenslang­e, chronische Erkrankung, die immer wieder ausbrechen kann.

Doch wann wird das Biertrinke­n gefährlich? „Alles, was über eine Trinkeinhe­it täglich hinausgeht“, erklärt Six. Das ist für Männer eine Halbe Bier, ein Glas Wein oder ein Glas Sekt. Für die Frauen gilt die Hälfte davon.

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In der Suchtambul­anz wird Menschen mit Computer, Alkohol- oder Medikament­enabhängig­keit geholfen.
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Foto: Peter Heider In der Suchtfacha­mbulanz in Meitingen kümmert sich Elisabeth Six (rechts) um die Betroffene­n, Barbara Gistel um die Verwaltung.

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