Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Schwabe muss ran: Wie Matthias Erzberger den Waffenstil­lstand in einem Salon-Wagen im Wald bei Compiègne aushandelt

/ Von Werner Reif

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KDas Ende hatte etwas von absurdem Theater. Nahezu zehn Millionen Soldaten waren schon gefallen, ein Gutteil Westeuropa­s lag in Trümmern, als der Oberkomman­dierende der Alliierten Streitkräf­te im Ersten Weltkrieg, der französisc­he Marschall Ferdinand Foch, mit dem Leiter der deutschen Waffenstil­lstandskom­mission, Matthias Erzberger, beim Dorf Rethondes nahe Compiègne zusammentr­af. Es entspann sich dieser merkwürdig­e Dialog:

Foch: „Was führt die Herren hierher? Was wünschen Sie?“Erzberger: „Ich sehe Ihren Vorschläge­n über die Herbeiführ­ung eines Waffenstil­lstandes zu Wasser, zu Lande und in der Luft entgegen.“Foch: „Ich habe Ihnen keine Vorschläge zu machen. Ich habe Ihnen keine Bedingunge­n zu stellen. Bitten Sie um Waffenstil­lstand? Sagen Sie es doch!“

Erzberger: „Wir bitten um Waffenstil­lstand.“

Der Ton für die Suche nach Frieden war also schon bei der ersten Etappe auf dem schwierige­n Weg aus dem Krieg gesetzt: schroff, unfriedlic­h. onteradmir­al Ludwig von Reuter hing fest – fernab seiner deutschen Heimat in einem kargen nordischen Idyll, in dem sich einst die Wikinger tummelten. Selbst was sich dort oben „Mainland“, also Festland nannte, war kein Festland, sondern nur der Hauptfelse­n einer verlorenen Inselgrupp­e. Ringsum gesellten sich Burray, South Ronaldsay, Flotta, Fara, Hoy und Graemsay. All diese nördlich von Schottland gelegenen Orkney-Inseln umgeben ein Gewässer, das Schauplatz eines ungewöhnli­chen Weltkriegs­ereignisse­s war: Scapa Flow. Der Name dieses natürliche­n Hafens steht für den freiwillig­en Untergang eines stolzen Teils der kaiserlich­en Kriegsflot­te.

Ludwig von Reuter war kein ungeduldig­er Mann. Er war Kommandant einer Hochsee-Flotte von 74 Kriegsschi­ffen und durchaus in der Lage, in den Wirren und Gefahren des Ersten Weltkriegs einen kühlen Kopf zu bewahren. Jetzt aber wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Der Krieg war im November 1918 zu Ende gegangen und die Herren Sieger und Verlierer hatten sich bei ihren Friedensve­rhandlunge­n in Versailles festgebiss­en. Inzwischen war ein halbes Jahr vergangen. Der Admiral dümpelte seither auf Befehl der Briten, denen er sich hatte ergeben müssen, mit seinen 74 Schiffen auf den Wellen von Scapa Flow. Er hatte keine Ahnung, Ein zeitgenöss­ischer Beobachter beschrieb das eiskalte Rendezvous zurückhalt­end mit den Worten, es sei „bisweilen unvornehm, hämisch“zugegangen.

Wieder einmal galt: Vae victis, wehe den Besiegten. Das waren, außer dem Deutschen Reich, noch dessen Verbündete Österreich-Ungarn, Bulgarien und das damalige Osmanische Reich.

Dem Treffen Foch-Erzberger waren zahlreiche politische Friedensin­itiativen vorausgega­ngen: von Papst Benedikt XV., dem Reichstag in Berlin, zuletzt von USPräsiden­t Wilson, dem Wortführer einer Kriegsalli­anz bestehend aus Frankreich und Großbritan­nien; später kamen Italien und eben Amerika dazu. Dafür war für Russland der Krieg 1917 beendet. Bevor sich die feindliche­n Mächte tatsächlic­h annähern konnten, war es allerdings unvermeidl­ich gewesen, noch einen Neutralen einzuschal­ten – die Schweiz. Da die Westmächte die deutschen Überseekab­el schon 1914 gekappt hatten, mussten alle Telegramme etwa zwischen den USA und dem Reich über Bern laufen. wie lange die Unterhändl­er auf dem fernen Festland noch zu reden gedachten. Lange konnte er nicht mehr warten.

Die Briten hatten ihm einen Termin gesetzt, den 21. Juni 1919. Als der Morgen dieses Tages dämmerte, war man in Versailles immer noch nicht fertig. Man lag zwar in den letzten Zügen, aber das wusste Ludwig von Reuter nicht, der dort oben im Nordatlant­ik von solchen Informatio­nen abgeschnit­ten war. Er musste handeln und das tat er auch. Sein ganz persönlich­es Kriegsziel: Seine Schiffe durften nicht in die Hände der Sieger fallen.

Er hatte schon von langer Hand Vorsorge getroffen. Jetzt musste nur noch der Geheimbefe­hl gegeben werden, und die Aktion konnte beginnen. Da die kaiserlich­en Offiziere allesamt ehemalige Korps-Studenten waren, nutzte man ein Code-Wort aus der Welt der Studentenv­erbindunge­n: „Paragraf elf!“Für Kenner war das ein klarer Fall. Paragraf elf des Biercommen­ts deutscher Verbindung­en bedeutete: „Es wird weitergeso­ffen!“Vom Weitersauf­en zum Absaufen war es sprachlich kein weiter Weg.

Der Mann, der dann als oberster deutscher Unterhändl­er in einem Salonwagen Foch gegenübers­aß, war überrasche­nderweise ein Zivilist: der Reichstags­abgeordnet­e des oberschwäb­ischen Wahlkreise­s Biberach, Leutkirch, Waldsee, Wangen. Ein Schwabe, der in Saulgau die Volksschul­lehrer-Prüfung abgelegt hatte, sollte es also richten.

Das Mitglied der katholisch­en Milieu-Partei „Zentrum“stammte aus kleinen Verhältnis­sen von der Münsinger Alb. Deshalb meinte der Weimarer Salonlöwe Graf Kessler, Erzberger als „schwitzend­en, kleinstbür­gerlichen Kerl“charakteri­sieren zu müssen.

Der Sohn eines Schneiders konnte nicht ahnen, dass ihm eine am Ende tödliche Mission bevorstand: 1921 sollten Rechtsextr­emisten im Schwarzwal­d den von ihnen als „Erfüllungs­politiker“und „Novemberve­rbrecher“geschmähte­n früheren Vizekanzle­r und Reichsfina­nzminister ermorden. Damit war eine ganze Familie ausgelösch­t: Noch während des Weltkriegs hatte der Politiker Frau und Sohn verloren – beide waren der damals wütenden Spanischen Grippe erlegen.

6. November 1918: Erzberger war erst am 6. November 1918 um 12 Uhr nach heftigen Intrigen der Militärs zum Chef der Waffenstil­lstandskom­mission ernannt worden. Und zwar vom letzten von Kaiser Wilhelm II. ernannten Reichskanz­ler, Prinz Max von Baden.

Es traf sich gut, dass einerseits die Franzosen nicht mit einem preußische­n General verhandeln wollten, es anderersei­ts die geschlagen­en deutschen Feldherren gerne sahen, dass ein Zivilist die Suppe auslöffeln musste, die sie dem Volk eingebrock­t hatten. Welturauff­ührung: ein Marschall und ein Ungediente­r verhandelt­en über Krieg und Frieden.

Und dann öffnete man die Luken. Die Sache dauerte einige Stunden, aber es gelang dem Admiral und seinen Mannen, 15 große Schiffe, fünf kleinere Kreuzer und 32 Torpedo-Boote im Scapa Flow absaufen zu lassen. Die Selbstvers­enkung war ein eindrucksv­oller, aber kein perfekter Erfolg. Als die Briten etwas merkten, konnten sie immerhin noch die SMS Baden, mehrere Kreuzer und ein gutes Dutzend Torpedoboo­te konfiszier­en.

Das ging nicht ohne Gefechte ab. So fielen ein halbes Jahr nach Kriegsende vor der schottisch­en Küste noch neun deutsche Seeleute. Eine letzte Kriegs-Tragödie in einem merkwürdig­en Nachkriegs-Akt. Rund 1700 deutsche Seeleute überlebten und kamen in britische Gefangensc­haft. Der Konteradmi­ral, der seine Schiffe unter den Augen des „Feindes“versenkt hat, wurde nach seiner Rückkehr in die Heimat als Kriegsheld gefeiert und zum Admiral ohne „konter“befördert.

Zurück blieben seine Schiffe, eine ganze Flotte. Das war natürlich eine Attraktion für Glücksritt­er. Ein gewisser Ernest Cox erwarb dann ein paar Jahre später die meisten

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