Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lahme lernen wieder Laufen

Aufstehen aus dem Rollstuhl: Schweizer Forscher helfen Querschnit­tsgelähmte­n auf die Beine

- VON PATER RICHARD J. ALTHERR SAC, FRIEDBERG

Gelähmte können durch gezielte elektrisch­e Stimulatio­n ihrer Wirbelsäul­e wieder begrenzt laufen – sogar ohne Hilfe. Laut einer Studie, die nun im Fachblatt Nature erschienen ist, fanden Schweizer Ärzte heraus, dass durch die Stimulatio­n sogar Nervenbahn­en reaktivier­t werden können, die durch einen Unfall stillgeleg­t wurden. Ein Team aus Neurologen und Ingenieure­n setzte mithilfe eines Implantats gezielte elektrisch­e Impulse ein, um einzelne Muskeln nacheinand­er zu aktivieren – so, wie es das Gehirn bei gesunden Menschen tut. Das Ergebnis: Die drei Probanden konnten über kurze Strecken wieder laufen.

„Der klinische Test hat mir Hoffnung gemacht“, sagte der 35-jährige Gert-Jan Oskam, dem nach einem Verkehrsun­fall 2011 gesagt wurde, er werde nie wieder laufen können. Nach fünfmonati­ger Behandlung ist er nun in der Lage, kurze Strecken sogar ohne elektrisch­e Stimulatio­n zu gehen. Auch der 28-jährige David Mzee, dessen linkes Bein seit einem Unfall 2010 komplett gelähmt war, kann nun dank des Implantats bis zu zwei Stunden lang mit einer Gehhilfe laufen. Ohne Einschaltu­ng der elektrisch­en Impulse schafft er kurze Strecken.

Der Schweizer Neurologe Grégoire Courtine sagte, die Erfolge seien das Ergebnis von „mehr als einem Jahrzehnt sorgfältig­er Forschung“. In vorherigen Studien wurde eine kontinuier­liche elektrisch­e Stimulatio­n der Wirbelsäul­e vorgenomme­n. Dies funktionie­rte gut bei Ratten, weniger gut hingegen bei Menschen. Nach mehrmonati­gem Training mit gezielten Impulsen konnten die Probanden nun zuvor gelähmte Muskeln sogar ohne elektrisch­e Stimulatio­n aktivieren.

„Das Ergebnis war völlig unerwartet“, sagt Courtine in einem Video, das Nature veröffentl­ichte. „Sie konnten sogar einige Schritte ohne jede Unterstütz­ung, mit freien Händen, gehen.“Mit der gezielten Stimulatio­n kann ein Patient fast normal gehen, die Füße rollen dabei gleichmäßi­g auf und ab. Bei der kontinuier­lichen Stimulatio­n sind die Bewegungen ruckartige­r. Zusammen mit intensiver Krankengym­nastik kann die gezielte Stimulatio­n offenbar zudem die Nervenverb­indungen zwischen dem Gehirn und den Muskeln reaktivier­en.

Die Stimulatio­n startet mit einem Impuls, der auf einen Muskel zielt und eine Bewegung des Patienten auslöst, beispielsw­eise einen Schritt. Sensoren an den Füßen erkennen die Bewegung als erste Phase eines Schrittes und senden weitere Impulse aus, um die für die Beendigung des Schrittes nötigen Muskelbewe­gungen auszulösen. Gleichzeit­ig denken die Patienten daran, die Muskeln zu bewegen und zu gehen.

Weil die Neuronen im Gehirn fast zeitgleich mit den auf die Muskeln einwirkend­en elektrisch­en Impulsen arbeiten, entsteht vermutlich irgendwann eine Verbindung zwischen dem Gehirn und den Muskeln. Dadurch können die Patienten auch ohne Impulse die Muskeln steuern.

Courtine warnte aber vor zu großen Erwartunge­n. Alle drei Probanden seien weiter auf ihre Rollstühle angewiesen, sagte er. Außerdem kamen für die Studie nur Patienten in Betracht, die noch einen Rest an Empfindung­en in ihrer unteren Körperhälf­te hatten.

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