Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Beim Wohnen haben Flüchtling­e oft keine Wahl

Die Unterbring­ung von Asylbewerb­ern hat sich gewandelt. Neben größeren Heimen gibt es seit 2015 auch kleinere Wohneinhei­ten. Viele Bewohner dürften sich eine eigene Wohnung suchen – scheitern damit aber

- VON MIRIAM ZISSLER

An diesem Montag wird in Augsburg eine neue Asylunterk­unft bezogen. 140 Flüchtling­e aus Gambia, der Türkei und Nigeria ziehen in das ehemalige Leiser-Gebäude am Kobelweg in Kriegshabe­r. Es wird eine weitere Zweigstell­e des Ankerzentr­ums Donauwörth sein, wo derzeit rund 800 Menschen leben. Das Ankerzentr­um dort soll entlastet werden. Deshalb gibt es auch schon eine Außenstell­e in Inningen. Das Kürzel „Anker“steht für Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g. An beiden Augsburger Standorten werden Flüchtling­e untergebra­cht, die vor der Abschiebun­g stehen oder die auf die endgültige Entscheidu­ng über ihren Asylantrag warten. Seit Anfang August sind die bundesweit umstritten­en Ankerzentr­en in Bayern in Betrieb.

Es ist eine Entwicklun­g nach dem großen Flüchtling­sstrom, der vor drei Jahren einsetzte. Im September 2015 – auf dem Höhepunkt – musste die Turnhalle der Reischlesc­hen Wirtschaft­sschule als Notunterku­nft herhalten. Händeringe­nd wurden damals Unterkünft­e gesucht. Pensionen und Hallen wurden angemietet, eine Tragluftha­lle in der Berliner Allee eingericht­et. Diese wurde allerdings nie belegt. Heute, drei Jahre danach, hat sich vieles eingespiel­t. Neue Unterkünft­e entstehen weiter.

Etwa im Annahof. Julia Hüther von der Stadt Augsburg besichtigt die frisch sanierten Räume. Hier, mitten im Zentrum, kann die Stadt künftig bis zu 28 Flüchtling­e unterbring­en. Die evangelisc­he Pfarrgemei­nde von Sankt Anna hat die denkmalges­chützten Räume hergericht­et, damit dort Flüchtling­e ein Obdach finden. In den Vier- bis Sechs-Bett-Zimmern sollen Familien unterkomme­n. „Zwei Großfamili­en wären optimal.“Die Stadt unterhält 40 Wohneinhei­ten, die von einer kleinen Wohnung bis zu einem Gebäude für 80 Menschen reichen. Julia Hüther leitet den Bereich der dezentrale­n Unterbring­ung.

Bevor der große Flüchtling­sstrom Augsburg erreichte, war das Unterbring­en von Asylbewerb­ern allein Sache der Regierung von Schwaben. „Als man 2013/2014 bemerkte, dass es zu Engpässen kommen kann, wurden die Kommunen beauftragt, ebenfalls Unterkünft­e zu suchen“, erklärt Robert Kern, Fachbereic­hsleiter für Wohnen und Unterbring­ung bei der Stadt. Wie und wo wurde jeder Kommune freigestel­lt. In Augsburg entschied man sich für dezentrale Unterkünft­e, also für vergleichs­weise kleine Einheiten, die über das Stadtgebie­t verteilt sind. „Wir wollten keine Brennpunkt­e einrichten“, betont Robert Kern. Als im Herbst 2015 bis zu 80 Flüchtling­e von der Stadt pro Woche unterzubri­ngen waren, war guter Rat teuer. Kurzerhand wurden Pensionszi­mmer angemietet, die sich hauptsächl­ich in Lechhausen und Oberhausen befanden. Seit Mitte 2016 erfolgt keine Unterbring­ung mehr in Pensionen – seither werden die Flüchtling­e in den bestehende­n Unterkünft­en untergebra­cht.

Julia Hüther und ihr Team überlegen genau, wer wo einzieht. „Da wird unter anderem auf Religionsz­ugehörigke­it geschaut. Jesiden werden nicht gemeinsam mit Muslimen untergebra­cht, aber auch alleinsteh­ende Männer nicht mit Familien.“Konflikte sollen in den Unterkünft­en so – wenn möglich – gar nicht erst entstehen.

In den städtische­n Einrichtun­gen leben derzeit 1008 Frauen, Männer und Kinder. Der Großteil kommt aus Syrien (402 Personen) und Afghanista­n (357 Personen). 76 Prozent der Flüchtling­e, die die Stadt betreut, sind anerkannt und könnten selbst eine Wohnung suchen. Nur auf dem angespannt­en Wohnungsma­rkt werden sie meist nicht In den Unterkünft­en der Regierung von Schwaben ist es ein ähnlich hoher Prozentsat­z, der als sogenannte­r Fehlbelege­r gelistet ist.

In den staatliche­n Gemeinscha­ftsunterkü­nften in Augsburg können 1263 Flüchtling­e untergebra­cht werden. „Die Unterkünft­e sind momentan zu 70 Prozent belegt“, sagt Elmar Steinle von der Regierung von Schwaben. Elf Einrichtun­gen sind in Betrieb. Eine der kleineren Gemeinscha­ftsunterkü­nfte befindet sich im Grandhotel im Springergä­ßchen im Domviertel. 56 Flüchtling­e können dort leben.

Die größte staatliche Einrichtun­g befindet sich am Roten Tor und bietet Platz für 265 Menschen. Momentan wohnen dort aber nur 187 Personen: Alleinerzi­ehende mit ihren Kindern und Familien. Das alte Gebäude muss nach und nach saniert werden. An Briefkäste­n und Zimmertüre­n stehen Zahlen und keine Namen. So sollen die Bewohfündi­g. ner geschützt werden. In jedem Stockwerk gibt es zwei Wohnbereic­he. Früher lebte eine Familie in solch einer großen Wohnung. Heute lebt in jedem Zimmer eine. Acht Personen teilen sich einen Herd. Nachmittag­s ist es ruhig. Viele sind unterwegs: in Ganztagssc­hulen, Deutschkur­sen oder bei der Arbeit.

Die Sozialbera­tung ist im Haus und unterstütz­t Bewohner im Alltag. „Gerade bei den Briefen von Behörden brauchen sie Hilfe“, erzählt Natascha Macht von der Diakonie. Ob Kita-Gebühren oder Rechtsfrag­en – ohne die Hilfe würden die Wenigsten klar kommen. Viele Bewohner kennt Natascha Macht seit Jahren. „Das ist deprimiere­nd. Sie kommen voller Hoffnung an und leben hier nach einigen Jahren ganz apathisch, weil sich nichts verändert.“Der Bürgervere­in des Ulrichsvie­rtels sorgt für Abwechslun­g. Er organisier­t eine Nikolausfe­ier, kümmert sich um Hausaufgab­enhilfe und den Sandkasten. Sobald Flüchtling­e in die neue Einrichtun­g im Annahof gezogen sind, steht für sie auch Unterstütz­ung parat. Julia Hüther: „In der Pfarrgemei­nde gibt es schon einige Mitglieder, die helfen wollen.“

 ?? Fotos: S. Wyszengrad, A. Zoepf, B. Hohlen ?? 265 Flüchtling­e können in der Gemeinscha­ftsunterku­nft am Roten Tor (o. links) leben, 28 (u. rechts) im Annahof. Die Flüchtling­e kommen, wie im Herbst 2015 (o. rechts), mit großen Hoffnungen. Nicht immer werden sie erfüllt. Für viele ist die Außenstell­e des Ankerzentr­ums in Inningen Endstation.
Fotos: S. Wyszengrad, A. Zoepf, B. Hohlen 265 Flüchtling­e können in der Gemeinscha­ftsunterku­nft am Roten Tor (o. links) leben, 28 (u. rechts) im Annahof. Die Flüchtling­e kommen, wie im Herbst 2015 (o. rechts), mit großen Hoffnungen. Nicht immer werden sie erfüllt. Für viele ist die Außenstell­e des Ankerzentr­ums in Inningen Endstation.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany