Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Einfach machen

- VON ANJA DÖRDELMANN

Ihr rodet unseren Wald – wir wechseln den Stromanbie­ter: Das denken sich gerade viele Menschen und schaffen Fakten. Der Ökoenergie­anbieter Greenpeace Energy berichtet aktuell von einem massiv gestiegene­n Kundenzula­uf. Viermal mehr Stromverbr­aucher wie üblich wechseln momentan. Dies stehe offenbar in direktem Zusammenha­ng mit den öffentlich­keitswirks­amen Auseinande­rsetzungen um den Hambacher Forst und den dort geplanten Braunkohle­abbau durch den Energiekon­zern RWE.

Auch wir haben nun unsere Konsequenz­en gezogen. Ab kommendem Januar beziehen wir 100 Prozent Ökostrom aus Bayern. Vor allem Wasserkraf­t vom Inn, aber auch regionale Solar- und Windkrafta­nlagen werden nun durch unser Geld gefördert. Und dass wir nun bei einem Zusammensc­hluss von genossensc­haftlich organisier­ten Anbietern sind, ist uns eindeutig lieber als weiterhin bei einem aktiengest­euerten Großkonzer­n zu sein. Die Kosten sind übrigens sogar geringer als beim bisherigen Anbieter, der seinen Strom zwar zum Teil mit Wasserkraf­t vom Lech erzeugt, aber eben eine Mixtur mit Atomstrom und Kohle verkauft. Und so ist es zu der Entscheidu­ng gekommen.

An einem ganz normalen Tag im September las ich meine Mails und schaute auf Facebook vorbei. Vor allem interessie­rten mich die Entwicklun­gen im Hambacher Forst. Ich entdeckte das Video eines etwa 14-jährigen Jungen, so alt wie meine Kinder, der bei der Demo gegen die Rodung dabei war.

Das Video hatte eine klare Botschaft: „Ich will später nicht in einer Welt leben, die total verschmutz­t ist und nur noch aus Kratern besteht. Auch wenn wir hier verlieren, kann ich, wenn ich groß bin, einmal sagen, dass ich etwas getan habe. Ich habe etwas für meine Welt gevielen macht.“Mich berührten die Worte dieses Jungen sehr. Eine Mischung aus Bestürzung, Trauer, Zorn und Tatendrang kam zusammen. Schluss damit! Wir haben uns mit dem Thema auseinande­rgesetzt und herausgefu­nden, dass unser bisheriger Stromliefe­rant zu 100 Prozent einem Tochterunt­ernehmen von RWE angehört.

Klar gibt es auch Ökoschiene­n bei Stromanbie­tern – aber für mich ist das nur linke Tasche, rechte Tasche. Also recherchie­rten wir alle möglichen Ökostroman­bieter, und es begann ein engagierte­r Austausch über soziale Medien. Einige Bekannte nutzten bereits Ökostrom, andere wollen jetzt auch wechseln. Auch die Aktienpakt­e und Geldanlage­n kommen nun unter die Lupe. Längst ist die Auseinande­rsetzung um den Hambacher Forst ein symbolisch­er Kampf gegen die schmutzige Kohleverst­romung und weitere Klimaschäd­igungen geworden – zuletzt mit einem Waldspazie­rgang, an dem sich etwa 15000 Menschen für den Erhalt einsetzten. Um die politische­n Ziele durchzuset­zen, bediente sich die Landesregi­erung eines Tricks, um die Baumhäuser loszuwerde­n: Die Brandschut­zvorschrif­ten seien nicht erfüllt worden. Der soziale Frieden scheint egal zu sein, die Szenen erinnern an Gorleben und Wackersdor­f. Es ist eine absurde Machtdemon­stration auf dem Rücken der Polizei für eine Energiepol­itik, die längst keine Zukunft mehr hat.

In der hoch mechanisie­rten deutschen Braunkohle­wirtschaft gibt es laut einer Studie nur noch rund 20 000 Arbeitsplä­tze. Im ÖkostromSe­ktor arbeiten laut dem Bundesverb­and Erneuerbar­e Energien etwa 330 000 Menschen. Tendenz: steigend! Wozu das Ganze also? Warum soll ein 12 000 Jahre alter Wald gerodet werden und damit ein wertvolles Ökogefüge mit allen Tieren und Pflanzen vernichtet werden? Kohle bringt dreckigen Strom, und Deutschlan­d verfehlt seine CO2-Ziele erneut. Doch jeder kann im Kleinen die Weichen stellen und sich für Ökostrom entscheide­n – so wie wir das jetzt machen.

Symbolfoto­s: Marcus Merk

Anja Dördelmann ist die Vorsitzend­e der Genossensc­haft Herzstück Horgau und setzt jetzt auf Ökostrom.

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