Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fährt Italien mit Karacho gegen die Wand?

Die Koalition in Rom glaubt, sich irgendwie durchwursc­hteln zu können. Mit Brüssel mag dieses Spielchen klappen, doch die Kapitalmär­kte strafen das Land ab

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Italiener sind große Improvisat­ions-, ja Lebensküns­tler. Dafür bewundern wir sie. Wie wenig andere beherrsche­n die Südländer die Politik des „Sich-Durchwursc­htelns“. Wer die Lösung von Problemen auf morgen, auf übermorgen und dann auf irgendwann verschiebt, lebt sicher entspannte­r – jedenfalls so lange, bis der über Jahrzehnte aufgetürmt­e Problember­g doch nicht mehr zu übersehen ist. Im Fall Italiens besteht er aus rund 2,3 Billionen Euro Schulden, was etwa 132 Prozent der Wirtschaft­sleistung entspricht. Ein dickes Ding, ja ein Skandal. Denn für ein Euro-Mitglied wie Italien sind nicht mehr als 60 Prozent erlaubt.

Deshalb müsste die Regierung in Rom den Haushalt sanieren und zumindest damit beginnen, den Schuldenbe­rg zu schrumpfen. Das widerspric­ht aber fundamenta­l dem auf Volksbeglü­ckung und damit Ausgaben-Aufblähung ausgericht­eten Geschäftsk­onzept einer populistis­chen Regierung, die sich auch zuletzt wieder provokativ den Ermahnunge­n aus Brüssel entzog.

Der Konflikt um den italienisc­hen Haushalt gewinnt also an Schärfe und könnte sich weit in das kommende Jahr hineinzieh­en. Theoretisc­h verfügt Brüssel sogar über die Waffe, Rom eine Milliarden­strafe aufzubrumm­en. Doch alle EU-Drohungen werden das Römer-Bündnis aus fremdenfei­ndlicher Lega und populistis­cher Fünf-Sterne-Bewegung noch renitenter machen, schließlic­h stehen im kommenden Jahr Europawahl­en an. Und – wie Umfragen zeigen – scheint der gegenüber Brüssel aufmüpfige Kurs beim italienisc­hen Wahlvolk anzukommen.

Mit europakrit­ischem Fingerhake­ln weiß Lega-Frontmann Matteo Salvini zu punkten. So behauptet er, die Feinde Europas hätten sich im Brüsseler Bunker verschanzt und brächten Angst sowie Arbeitspla­tzunsicher­heit für die Menschen. Die Mächtigen in der EU werden sich also schwertun, den römischen Anarchismu­s und Egoismus zu zähmen. Wenn sich ein Land wie Italien überhaupt disziplini­eren lässt, muss der Druck von anderer, mächtigere­r Seite kommen. Da mag sich Salvini über Ratingagen­turen lustig machen – letztlich sind es Moody’s und Standard & Poor’s, die im Zusammensp­iel mit den Kapitalmär­kten in der Lage sind, die italienisc­hen Schuldenma­cher zur Räson zu rufen. Irgendwann fährt das ausgabefre­udige Bündnis in Rom mit Karacho gegen die Wand der Realität.

Standard & Poor’s etwa stuft den Wert italienisc­her Staatsanle­ihen nur zwei Stufen über dem Ramschnive­au ein. Noch mag Salvini tönen, er lasse sich davon nicht einschücht­ern. Irgendwann wird auch er schüchtern, wenn die Agenturen ein ums andere Mal den Daumen senken. Dann fällt es für Italien nämlich immer teurer aus, neue Schulden zu machen. Und eine neue Eurokrise mit dem Epizentrum Rom wäre eine Katastroph­e. Italien ist als drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone viel zu groß, um wie einst Griechenla­nd rund acht Jahre am Leben gehalten zu werden. Die freien Mittel des Euro-Rettungssc­hirms ESM würden nach Berechnung­en der Commerzban­k nur rund zwei Jahre reichen, um Italien vor dem Kollaps zu bewahren.

Anders als im Fall Athens gilt es als unsicher, dass der Internatio­nale Währungsfo­nds Erste Hilfe leistet. Am Ende müsste die Europäisch­e Zentralban­k die römische Bockigkeit ausbaden. Deshalb ist der italienisc­he EZB-Chef Mario Draghi entsetzt über das Verhalten seiner Landsleute. Wenn er seinem Land zu Hilfe eilen müsste, würden in Deutschlan­d herbeigese­hnte Zinserhöhu­ngen in noch weitere Zukunft vertagt. So bleibt die Hoffnung, dass Ratingagen­turen und Kapitalmär­kte das Wunder vollbringe­n und das anarchisch­e italienisc­he Durchwursc­htel-Theater beenden.

Beim Wahlvolk kommt diese Politik an

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