Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mary Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus (37)
IFrankenstein ist jung, Frankenstein ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffung einer künstlichen Kreatur, zusammengesetzt aus Leichenteilen, animiert durch Elektrizität. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg
ch bin blind und erkenne Euer Gesicht nicht, aber es liegt in Eurer Rede etwas, das mir sagt, Ihr seid ein guter Mensch. Ich bin arm und lebe hier in der Verbannung; aber es macht mir Freude, einem Anderen in jeder Weise dienstbar zu sein.“
„Edler Mann, wie danke ich Euch! Ich nehme Euer hochherziges Anerbieten an. Ihr erhebt mich mit Eurer Güte aus dem Staube und ich hoffe, daß es Euch gelingen wird, mich so wirksam zu schützen, daß ich nicht mehr aus der Gesellschaft Eurer Mitmenschen vertrieben werde.“
„Davor bewahre Euch der Himmel! Und wenn Ihr ein Verbrecher wäret, denn das ist das einzige, was Euch verzweifeln lassen kann. Auch ich bin unglücklich; ich bin, vollkommen unschuldig, mit meiner ganzen Familie aus der Heimat verbannt worden. Ihr werdet dann begreifen, daß ich Eurem Unglück nicht gefühllos gegenüberstehe.“
„Wie kann ich Euch danken, mein einziger, liebster Wohltäter?
Von Euren Lippen habe ich das erstemal Worte der Güte gehört, die mir galten. Das werde ich Euch nimmer vergessen. Und die Freunde, denen ich ja nun bald gegenübertreten werde, hoffe ich, werden mir auch barmherzig sein.“
„Darf ich den Namen und den Wohnort dieser Freunde wissen?“
„Ich schwieg. Das war der Augenblick, der mir das Glück auf immer bringen oder rauben mußte. Ich rang nach Worten, um ihm alles einzugestehen, aber ich fand nicht die Kraft. Ich sank auf einen Stuhl und stöhnte laut. Draußen hörte ich die Schritte der jungen Leute. Zeit war keine mehr zu verlieren. Ich ergriff die Hand des Greises und schrie: „Nun ist es Zeit, daß ich es sage. Helft mir und schützt mich! Ihr und die Euren sind die Freunde, die ich suche. Verlaßt mich nicht in meiner Not!“
„Großer Gott!“rief der Mann. „Wer seid Ihr?“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Zimmers und Safie, Fe- alte lix und Agathe kamen herein. Verstört und entsetzt starrten sie mich an. Agathe sank um und Safie rannte aus dem Zimmer, unfähig, der Ohnmächtigen Hülfe zu leisten. Felix stürzte auf mich zu und riß mich mit übermenschlicher Kraft von seinem Vater weg, an dessen Kniee ich mich geklammert hatte. Im Übermaß der Wut warf er mich zu Boden und schlug wie ein Rasender mit einem Stock auf mich ein. Ich hätte ihm ja leicht die Glieder auseinanderreißen können, wie es der Löwe mit der Gazelle tut. Aber das unendliche Leid nahm mir die Kraft. Ich sah, wie er den Arm zu einem neuen Schlag erhob, da sprang ich auf und rannte aus dem Hause. In der allgemeinen Verwirrung vergaß man mich zu verfolgen.