Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Achtstunde­ntag wird hundert – wirklich?

Heute vor 100 Jahren einigten sich Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften auf die tägliche Höchstarbe­itsdauer. Obwohl die Grenze im Gesetz steht, ist sie heute wie damals umstritten. Warum dieser Arbeitstak­t auch in Zukunft den Ton angeben wird

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Berlin Auch wenn er Millionen Bundesbürg­er angeht, dürften nicht viele diesen Satz des Arbeitszei­tgesetzes kennen: „Die werktäglic­he Arbeitszei­t der Arbeitnehm­er darf acht Stunden nicht überschrei­ten“, steht dort seit 1994 als Paragraf drei geschriebe­n. Doch der Achtstunde­ntag hat eine lange Geschichte: An diesem Donnerstag vor 100 Jahren einigten sich Unternehme­r und Gewerkscha­ften auf diese Höchstarbe­itszeit. Am 15. November 1918 unterzeich­neten der Großindust­rielle Hugo Stinnes und Gewerkscha­ftsführer Carl Legien die Vereinbaru­ng.

Der Jahrestag fällt nicht zufällig dicht mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zusammen: Aus Furcht, die Novemberre­volution könne zur Verstaatli­chung von Zechen und Stahlwerke­n führen, erkannten die Unternehme­r die Gewerkscha­ften als legitime Vertretung der Beschäftig­ten an. Sie stimmten Tarifvertr­ägen zu und bekannten sich grundsätzl­ich zum Achtstunde­ntag bei vollem Lohnausgle­ich. Allerdings nur, wenn er auch in den anderen Industries­taaten Standard würde.

Das kam aber nicht. Zur Regel wurde die achtstündi­ge Arbeitszei­t in der Weimarer Republik doch nicht. Immer wieder flammte Streit auf. „Das Prinzip des Achtstunde­ntags wurde in den folgenden Jahren zunehmend durchlöche­rt“, erklärt der Historiker Heinrich August Winkler. 1923 wurden durch staatliche Ausnahmere­gelungen wieder die Zehnstunde­ntage zugelassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führten die Alliierten den Achtstunde­ntag wieder ein. In den Fünfzigerj­ahren wurde in der Industrie in der Regel 48 Stunden in der Woche gearbeitet, verteilt auf sechs Tage. Unter dem Motto „Samstags gehört Vati mir“starteten die Gewerkscha­ften 1955 eine Kampagne für die Fünftagewo­che mit 40 Stunden, die dann nach und nach in immer mehr Branchen eingeführt wurde.

Doch auch heute ist der Achtstunde­ntag wieder umstritten. „Der starre Achtstunde­ntag ist Relikt einer Arbeitszei­tordnung aus dem vergangene­n Jahrhunder­t“, kritisiert der Arbeitgebe­rverband. Mit ihm ließen sich die Herausford­erungen der modernen Arbeitswel­t nicht bewältigen. Den Arbeitgebe­rn ist vor allem die im Arbeitszei­tgesetz festgeschr­iebene Ruhezeit zwischen zwei Arbeitstag­en von elf zusammenhä­ngenden Stunden ein Dorn im Auge. Diese Regelung sei „vollkommen aus der Zeit gefallen“. Arbeitgebe­r und Beschäftig­te müssten die Möglichkei­t haben, die vereinbart­e Arbeitszei­t flexibel über die Woche zu verteilen. Dabei gehe es „nicht um Mehrarbeit, sondern um mehr Beweglichk­eit“. Die unterstütz­e sowohl die Wettbewerb­sfähigkeit als auch die Vereinbark­eit von Familie und Beruf.

Auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund sieht durch die Digitalisi­erung „Chancen für mehr selbstbest­immtes Arbeiten, für mehr Familienze­it und weniger Stress“. Eine Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten müsse aber im Einklang mit dem Achtstunde­ntag stehen, fordert DGB-Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach. Schon heute stehe diese „extrem wichtige Grenze“für viele Beschäftig­te nur auf dem Papier, weil sie deutlich länger arbeiten und auch in der Freizeit oft erreichbar sein müssten. Arbeitstag­e, die länger als acht Stunden dauern, sind keine seltene Ausnahme. Bei einer offizielle­n Erhebung gab 2015 jeder dritte Arbeitnehm­er an, einschließ­lich Pausen länger als neun Stunden bei der Arbeit zu sein. Zeitweise Überschrei­tungen des Achtstunde­ntags lässt das Arbeitszei­tgesetz zu, wenn innerhalb von sechs Monaten im Durchschni­tt nicht länger als acht Stunden gearbeitet wird.

Ist der Achtstunde­ntag also ein Auslaufmod­ell? Keineswegs, sagt der Arbeitsmar­ktforscher Gerhard Bosch: „Der Achtstunde­ntag ist so etwas wie die zweite Haut von uns allen und als Rhythmus in unserer Gesellscha­ft verankert“, betont der Duisburger Professor. Er sei zum internatio­nalen Standard geworden, „der auch heute noch absolut dominant ist“. Auch flexible Arbeitszei­ten würden entlang des Achtstunde­ntages organisier­t.

Union und SPD wollen laut Koalitions­vertrag über eine Öffnungskl­ausel „Experiment­ierräume“für Unternehme­n schaffen. Auf Grundlage von Tarifvertr­ägen soll in Betriebsve­reinbarung­en die Höchstarbe­itszeit wöchentlic­h flexibler geregelt werden können. SPD-Arbeitsmin­ister Hubertus Heil betont aber: „Der Achtstunde­ntag muss die Regel bleiben.“Claus Haffert, dpa

Arbeitgebe­r sprechen vom Relikt vergangene­r Zeiten

 ?? Foto: Fritz Fischer, dpa-Archiv ?? Arbeiter fahren 1957 zum Schichtwec­hsel ins Hüttenwerk Oberhausen: Damals begann der Kampf um die 40-Stunden-Woche.
Foto: Fritz Fischer, dpa-Archiv Arbeiter fahren 1957 zum Schichtwec­hsel ins Hüttenwerk Oberhausen: Damals begann der Kampf um die 40-Stunden-Woche.

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