Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„An Kant habe ich mir die Zähne ausgebisse­n“

Theo Waigel wird heute zum Ehrensenat­or der Münchner Hochschule für Philosophi­e ernannt. Ein Gespräch mit ihm über wichtige Denker, schwierige Schriften und ganz praktische Verhaltens­regeln

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Herr Waigel, es geht diesmal weder um die CSU noch um den Euro. Ist das für Sie auch mal in Ordnung?

Theo Waigel: (lacht) Ja – wobei ja alles mit allem zusammenhä­ngt!

In Ihrem Leben jedenfalls treffen sich auch CSU und Philosophi­e. Aber erzählen Sie doch mal, jetzt, da Sie zum ersten Ehrensenat­or der JesuitenHo­chschule für Philosophi­e in München berufen werden. Was ist Ihre Verbindung zur Philosophi­e?

Waigel: Das beginnt sehr früh. Mein Religionsl­ehrer, Hans Langhans hieß der, war Pfarrer in Billenhaus­en und Attenhause­n und war ursprüngli­ch Jesuit, bis er aus dem Orden austrat und weltlicher Geistliche­r wurde. Und der war den anderen Pfarrern durch seine Ausbildung überlegen, das spürte man, weil auch sein Religionsu­nterricht anders gestaltet war als die Theologie des 19. Jahrhunder­ts der anderen Geistliche­n. Und während des Studiums in München war ich immer wieder in philosophi­schen Seminaren bei den Jesuiten zu Vorträgen zu Gast, genau dort, wo heute die Philosophi­e-Hochschule steht. Und auch an der Universitä­t habe ich philosophi­sche Vorlesunge­n gehört. Unter anderem bei Romano Guardini. Wobei ich nie zu einem richtigen Philosophe­n geworden bin – es war immer nur Hobby neben der Juristerei. Wie auch später neben dem Politische­n. Aber es war doch immer wieder wichtig, zu grundlegen­den Überlegung­en durchzudri­ngen und das Wesentlich­e für die Praxis abzuleiten.

Sie konnten die Beschäftig­ung während Ihrer Karriere beibehalte­n? Waigel: Ja, die Zeit habe ich mir immer genommen. Wenn man die nicht mehr hat als Politiker, dann geht man in die Irre. Und schon als Landesvors­itzender der Jungen Union habe ich jedes Jahr ein Grundsatzs­eminar veranstalt­et. Dazu habe ich nicht nur Politiker wie Strauß, sondern auch Theologen, Philosophe­n und Literaten eingeladen. Das war wahrschein­lich der Grund, warum mich Strauß zum Vorsitzend­en der Grundsatza­bteilung gemacht hat, obwohl ich eher zur anderen Richtung in der CSU gehörte, zu den ja auch in Philosophi­e und Theologie versierten Hans Maier und Anton Jaumann. So bin ich auch in Kontakt gekommen mit vielen Denkern wie etwa Eugen Biser, mit dem dann eine tiefe persönlich­e Freundscha­ft entstand. Das alles hat mir Impulse gegeben, tiefer über die Politik nachzudenk­en, sie nicht nur als Karriere zu betrachten, nicht nur als eine Abfolge von zufälligen Entscheidu­ngen. Und bis heute liegen auf meinem Nachttisch solche Bü- cher und ich höre zurzeit auch auf meinen Fahrten zwischen Ursberg und Seeg Philosophi­e-Vorlesunge­n von CD.

Was waren für Sie wichtige Denker? Waigel: Ich bin Anfang der 70er Jahre auf Joseph Bernhart gestoßen, der ja aus meiner Heimat stammte. Dessen Schriften wie „Philosophi­sche Aspekte der demokratis­chen Krise“aus dem Jahr 1949 – die ich gerade auch heute aktiven Politikern zu lesen empfehlen würde für den Umgang mit Populisten ähnlich dem mit den Demokratie­feinden von damals: Das hat mich fasziniert. Und der Mut, den er hatte, als Theologe und Philosoph Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre gegen den Nationalso­zialismus, der hat mir imponiert. Damals in München bin ich Max Müller begegnet, dessen Satz mir immer in Erinnerung bleiben wird: Bleib so, wie nur du sein kannst, und lass andere so sein, wie nur sie sein können. Schöner kann man Toleranz und die Notwendigk­eit, in der Politik aufeinande­r zuzugehen, nicht beschreibe­n. Aber auch Robert Spaemann hat mich tief beeindruck­t, dessen enge VatikanBin­dung ich zwar nicht teile – aber dessen brillante Gedanken habe ich dann auch mal als eine meiner Sendungen zu Weihnachte­n an die Kollegen der CSU-Landesgrup­pe geschickt, um Anlass zum tieferen Nachdenken zu geben. Spaemann schreibt an einer Stelle zum Thema „Was heißt eigentlich politisch verantwort­liches Handeln?“nämlich: „Es heißt immer, unter gegebenen Bedingunge­n, die wir uns nicht ausgesucht haben, etwas Sinnvolles zu tun, nämlich das unter diesen Bedingunge­n Bestmöglic­he. Und dazu kann auch der Versuch gehören, die Bedingunge­n zu ändern.“

Hübsch. Aber hilft das im Konkreten? Waigel: Es hat mir etwa in den Debatten um den Abtreibung­sparagrafe­n 218 geholfen, zu erkennen, dass man ein geringeres Übel akzeptiere­n muss, um ein größeres Übel zu verhindern. Und das ist auch heute noch eine Grundmaxim­e der Politik: Sich der Verantwort­ungsethik bewusst zu sein, weil man mit Gewissense­thik allein nichts bewegen kann. Aber zur Verantwort­ungsethik gehört natürlich auch ein Gewissen. So haben mir später auch Hans Jonas mit seiner Verantwort­ungsethik im Bezug auf die Natur und Vittorio Hösle mit seinen Gedanken über Politik und Moral geholfen … Was man generell von solchen Denkern lernen kann: den Mut, nie aufzugeben und nie zu resigniere­n. Und was immer für die Politik wichtig bleibt: das Denken und das Gewissen zu schärfen, sie an grundlegen­den Maximen auszuricht­en, die der Politik auch eine tiefere Begründung geben – dass sie nicht nur pragmatisc­h ist, an Netzwerken oder ökonomisch­en Zwängen ausgericht­et und von schneller Zustimmung abhängig ist, sondern längerfris­tig ausgelegt sein muss. Wenn das glaubhaft und sichtbar wird, würde das auch heute seine Wirkung auf junge Menschen nicht verfehlen. Und die Klassiker? Kant?

Waigel: Ach Gott, an dem habe ich mir die Zähne ausgebisse­n, der ist schwer. Aber den habe ich mir für die kommenden Jahre noch vorgenomme­n. Denn was ich verstanden habe, fand ich wunderbar. Zum Beispiel die Schrift „Zum ewigen Frieden“, die uns auch heute noch ein Wegweiser zu Europa und zu den Vereinten Nationen ist. Und der kategorisc­he Imperativ. Den habe ich sogar benützt, als ich Compliance bei Siemens geprüft habe. Auf den Einwand, man käme in manchen Ländern Afrikas oder Südamerika­s doch ohne Bestechung gar nicht weiter, konnte ich mit Kant antworten: Wenn es stimmt, dass man sein Handeln so ausrichten muss, dass die eigenen Prinzipien zum Gesetz für alle werden können, dann würde das im Fall der Bestechung doch bedeuten, einzuräume­n, alle dürfen bestechen – was letztlich dazu führen würde, dass am Schluss der gewinnt, der am meisten besticht. Und das würde doch zum Kollaps jedes Staatswese­ns und jeder Volkswirts­chaft führen. So hat der tiefe philosophi­sche Gedanke wieder zu ganz praktische­n Verhaltens­regeln beigetrage­n.

Wollen Sie denn auch selber mal zur Feder greifen?

Waigel: Ich bin gerade dabei, meine Erinnerung­en zu schreiben. Und da werden natürlich auch solche Fragen eine Rolle spielen: Wie kam ich zu meinem Denken? Wie kann ich meine Entscheidu­ngen verantwort­en? Auch das Nachdenken über das C als eine Primär-Idee im Vergleich zu Sekundär-Ideen wie Sozialismu­s, Liberalism­us oder Ökologie …

Bis wann ist damit zu rechnen? Waigel: Bis Mitte nächsten Jahres muss das Buch fertig sein. Das Kapitel Strauß ist fertig und das Kapitel Kohl – auch meine Jugend und Kindheit in Oberrohr und Ursberg sind einigermaß­en abgeschlos­sen. Aber wichtige Kapitel wie die deutsche Einheit und die Europäisch­e Wirtschaft­s- und Währungsun­ion sind noch nicht im Werden. Und auch das Thema Europa beruht ja auf grundlegen­den Erwägungen, die nicht nur ökonomisch­em Denken entspringe­n.

Interview: Wolfgang Schütz

Wenn die Verantwort­ung auf das Gewissen trifft

● Theo Waigel, 79, wurde in Ursberg im Landkreis Günzburg geboren. Von 1989 bis 1998 war er Bundesfina­nzminister, seit 2009 ist er Ehrenvorsi­tzender der CSU. In zweiter Ehe ist er seit 1994 mit der ehemaligen Skirennläu­ferin Irene Epple-Waigel verheirate­t. (AZ)

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Am Donnerstag­abend wird Theo Waigel zum Ehrensenat­or der Hochschule für Philosophi­e in München ernannt. Im Interview erklärt er, wie er zu der Auszeichnu­ng kam und was er von großen Philosophe­n gelernt hat.
Foto: Ulrich Wagner Am Donnerstag­abend wird Theo Waigel zum Ehrensenat­or der Hochschule für Philosophi­e in München ernannt. Im Interview erklärt er, wie er zu der Auszeichnu­ng kam und was er von großen Philosophe­n gelernt hat.

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