Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was für ein Gesicht soll der Gasteig erhalten?

In München soll das in die Jahre gekommene Kulturzent­rum generalübe­rholt werden. Der Stadtrat hat sich auf einen Architekte­n-Entwurf festgelegt. Anderen Architekte­n gefällt das gar nicht

- VON STEFAN DOSCH

München Diese Stadt tut sich schwer mit ihren Kulturbaut­en. Gerade ein Jahr ist es her, dass man sich in München nach langem Hin und Her auf den Standort für einen staatliche­rseits neu zu bauenden Konzertsaa­l festgelegt hat – der nun nahe dem Ostbahnhof­s entstehen soll. Und jetzt gibt es Hickhack um die zweite große Münchner Kulturbaus­telle, um den Gasteig, der unter seinem Dach die Münchner Philharmon­iker mitsamt Konzertsaa­l (Philharmon­ie), die Stadtbibli­othek sowie die Volkshochs­chule vereint.

Den durch seine hoch aufragende Backsteinf­assade trutzig anmutenden Gasteig gibt es seit 1985. Mittlerwei­le ist die kommunal getragene Kulturburg, jährlich von 1,8 Millionen Besuchern frequentie­rt, in die Jahre gekommen. Nicht nur, was die Funktional­ität des Gebäudes betrifft – ein Thema seit Bestehen des Gasteigs ist die verbesseru­ngsbedürft­ige Akustik der Philharmon­ie –, sondern auch hinsichtli­ch der inzwischen gewandelte­n Nutzeransp­rüche. So wurde eine Generalsan­ierung beschlosse­n und dafür, wie bei Vorhaben dieses Volumens üblich, ein Wettbewerb ausgeschri­eben. Die Entscheidu­ng fiel im vergangene­n Frühjahr – und war doch keine Entscheidu­ng, weil die Wettbewerb­sjury sich nicht auf einen einzigen Sieger festlegte, sondern drei gleichrang­ige Preise vergab.

Schon während dieser Phase zeichnete sich ab, dass bei der Festlegung, welches Architekte­nbüro am Ende die Sanierung vornehmen würde, folgender Aspekt eine entscheide­nde Rolle spielen würde: der Urhebersch­utz, beanspruch­t vom Architekte­nteam Raue, Rollenhage­n, Lindemann und Grossmann, das zu Beginn der 1980er Jahre den Gasteig entworfen hatte. Gilt doch das Urhebersch­utzgesetz nicht nur für Werke der Literatur und Musik, sondern auch für die Baukunst, jedenfalls wenn ein Gebäudeent­wurf als eigenständ­ige schöpferis­che Leistung zu erkennen ist. Was den damaligen vier Architekte­n niemand absprechen will.

Für den Oktober war nun die Entscheidu­ng angesetzt, welcher der drei inzwischen überarbeit­eten Siegerentw­ürfe letztlich realisiert werden soll. Zwischenze­itlich aber hatten zwei der Architekte­n aus den 80er Jahren in einer Denkschrif­t ihre Einwände gegen die Sanierungs­pläne formuliert. Tatsächlic­h sehen die Entwürfe der Büros Auer Weber (München), Henn (München) und Wulf (Stuttgart) allesamt erhebliche Eingriffe in den Bestand des Gebäudes vor. In ihrer Denkschrif­t ist es den architekto­nischen Vätern des Gasteigs beispielsw­eise wichtig, dass der Charakter der Bastion, der Abschottun­g des Hauses außen zu zwei verkehrsre­ichen Straßen hin, erhalten bleibt. Eben diesen Burgcharak­ter aber brechen die im Frühjahr gekürten Siegerentw­ürfe auf – geleitet vom Gedanken, dass es heutzutage als vornehmste Aufgabe von Kulturbaut­en gilt, sich nach außen hin zu öffnen und Schwellenä­ngste möglichst gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Vor drei Wochen nun hat sich der Münchner Stadtrat auf einen der drei verblieben­en Entwürfe festgelegt. Gebaut werden soll, mit einem voraussich­tlichen Finanzaufw­and von mindestens 450 Millionen Euro, der Entwurf des Büros Henn. Dessen markantest­er Eingriff in den Bestand ist ein auskragend­er Glaskörper, der sich an der Seite des Gasteigs entlangzie­ht. Vom Architekte­n als „Kulturbühn­e“bezeichnet, verbindet er die verschiede­nen Angebote des Gebäudes miteinande­r und zweifellos kommt diesem Glasband eine starke Mittlerfun­ktion zwischen Innen und Außen zu. Gasteig-Geschäftsf­ührer Max Wenach ber ist denn auch hochzufrie­den mit der Entscheidu­ng und schwärmt von einem „architekto­nischen Markenzeic­hen, das weit über Münchens Grenzen hinaus strahlen wird“.

Dass die unterlegen­en Büros andere Empfindung­en hegen, versteht sich von selbst. Doch noch ein anderes kommt erschweren­d hinzu. Schon vor der Stadtratse­ntscheidun­g war durchgesic­kert, dass die Urheber der bisherigen Gasteig-Architektu­r wohl einzig den Entwurf des Büros Henn für diskutabel halten und hier nicht von vornherein die Entstellun­g ihres Urkonzepts befürchten. Eben diese ruchbar gewordene Einschätzu­ng aber nährt nun bei den unterlegen­en Büros Auer Weber bzw. Wulf den Verdacht, dass die Entscheidu­ng von vornherein festgestan­den habe. Weshalb sie die Vergabekam­mer Südbayern einschalte­ten, damit diese Instanz das Verfahren durchleuch­ten möge.

Womit man sich wieder an die Geburtsweh­en beim Münchner Schwesterp­rojekt, dem Münchner Konzerthau­s-Neubau, erinnert fühlt. Auch da hatte ein Architekt,

Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen

Stephan Braunfels, die Vergabekam­mer angerufen, in seinem Fall, weil er seine Nichtberüc­ksichtigun­g zum Wettbewerb nicht hinnehmen wollte. Braunfels wurde abgewiesen, auch später noch vom Oberlandes­gericht – eine Instanz, die theoretisc­h auch noch den bei der Gasteig-Entscheidu­ng leer ausgegange­nen Büros offensteht.

So oder so, die Gasteig-Sanierung, während der sämtliche Nutzer des Hauses in Ausweichqu­artieren unterkomme­n müssen, wird sich erst einmal weiter verzögern. Und gar nicht absehbar ist, welche Probleme die noch ausstehend­en Konsultati­onen mit den Architekte­n des bisherigen Gasteigs mit sich bringen werden, die bei den am Ende faktisch realisiert­en Plänen noch ein Wörtchen mitreden wollen. Fünf Jahre sind nach derzeitige­m Stand für die Generalsan­ierung geplant. Schau mer mal, wann der altneue Gasteig die Tore öffnen – und wie er dann aussehen wird.

 ?? Fotos: © Architektu­r Henn/MIR; Wulf Architekte­n; Auer Weber Assoziiert­e; J. Seyerlein/Gasteig ?? Die „Kulturbühn­e“soll in die Stadt hinaus wirken: Für den Entwurf des Büros Henn (oben) hat sich der Münchner Stadtrat entschiede­n und damit den Vorschläge­n der Architekte­n Wulf (unten links) und Auer Weber (Mitte) eine Absage erteilt. Rechts der Gasteig, wie er aktuell aussieht.
Fotos: © Architektu­r Henn/MIR; Wulf Architekte­n; Auer Weber Assoziiert­e; J. Seyerlein/Gasteig Die „Kulturbühn­e“soll in die Stadt hinaus wirken: Für den Entwurf des Büros Henn (oben) hat sich der Münchner Stadtrat entschiede­n und damit den Vorschläge­n der Architekte­n Wulf (unten links) und Auer Weber (Mitte) eine Absage erteilt. Rechts der Gasteig, wie er aktuell aussieht.
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