Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In Augsburg haben sie eine Heimat gefunden
Aufgrund von Krieg und Unterdrückung kamen in den vergangenen Jahren über 3000 Flüchtlinge in die Stadt. Viele von ihnen konnten Fuß fassen. Fünf Flüchtlinge erzählen von ihren Ängsten, Wünschen und Zielen
In Augsburg leben etwa 3050 Flüchtlinge, die seit der Flüchtlingswelle 2015 in die Stadt kamen. Davor kamen natürlich auch schon Asylsuchende in die Stadt, die teilweise hier auch noch leben. Jeder von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen, von seiner alten und neuen Heimat, von seinen Wünschen und Zielen. Wir haben uns mit fünf geflüchteten Menschen getroffen.
Shatha Loka, 48, kommt aus dem Irak. Als Katholiken gehörte ihre Familie dort einer Minderheit an. „Wir wurden unterdrückt und haben in Angst gelebt. Irgendwann ging es nicht mehr und wir wussten, dass wir weg müssen“, erzählt sie. 2009 flohen ihr Mann und ihr Sohn aus Bagdad nach Kaufbeuren. Shatha Loka folgte mit ihrem zweiten Kind. Über die Türkei ging es nach Griechenland, von dort aus in einem Lastwagen nach Deutschland. Als sich die Ladefläche des Lkw öffnete, waren sie in München, wo sie sich bei der Asylbehörde meldeten. Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Einrichtung in Zirndorf war die Familie vier Wochen später in Kaufbeuren wieder vereint. Für sie war es der Startschuss für die Integration in ihrem neuen Heimatland. Der älteste Sohn begann in Kaufbeuren eine Ausbildung als Maurer und arbeitet dort noch heute in dem Beruf. Shatha Loka, ihr Mann und das jüngste Kind zogen vor fünf Jahren nach Augsburg. Sie absolvierte Deutschkurse und Praktika, ging im Augsburger Flüchtlingshilfeverein „Tür an Tür“aus und ein. Seit zwei Jahren arbeitet sie dort in Teilzeit, 25 Stunden die Woche. Sie sitzt in der Einrichtung am Senkelbach am Eingang und nimmt die Anliegen der Flüchtlinge auf. Shatha Loka spricht Arabisch, Aramäisch, Kurdisch, Englisch und Deutsch. „Es macht mir einfach Spaß, wenn ich hier anderen helfen kann. “Sie wurde inzwischen eingebürgert, lebt mit ihrer Familie in Oberhausen und führt, wie sie sagt, ein integriertes Leben. „Ich gehe gerne auf den Christkindlesmarkt. Meine Kinder lieben den Plärrer. Zuletzt sind wir mit Bekannten beim Martinsumzug mitgegangen. Das war schön.“Im August war ihre Familie erstmals wieder im Irak – nur zu Besuch. „Meine Mutter lebt dort noch. Ich habe sie sehr vermisst und es war schön, sie wiederzusehen. Leben könnten wir dort aber nicht mehr.“
Same Mousavi, 23, stammt aus Afghanistan und floh aus dem Iran. Seit 2011 wohnt er in Augsburg. Afghanen werden im Iran diskriminiert. Darunter litt auch Same, der mit seiner Familie dort lebte. „Ich wollte weiter auf die Schule gehen, einmal studieren und mir ein besseres Leben aufbauen.“2011, also mit 16 Jahren, ging er nach Deutschland, um sich seinen Traum zu verwirklichen. Sieben Jahre später ist Same seinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Auf dem Bayernkolleg in Lechhausen will er in zweieinhalb Jahren das Abitur machen.
doBei seiner Ankunft verstand er noch kein einziges Wort Deutsch. Auf der Mittelschule erwarb er die mittlere Reife. Anfangs wurde er vom SOSKinderdorf betreut, jetzt wohnt er in einer Wohnung in der Stadtmitte und lebt von Schüler-Bafög. Derzeit muss der 23-Jährige besonders im Fach Deutsch, das schon vielen Muttersprachlern nicht ganz leicht fällt, viel büffeln. Doch das schreckt ihn nicht ab. „Man soll immer für seine Ziele kämpfen und nicht aufgeben.“
Same ist als Flüchtling anerkannt, hat nun sogar die Niederlassungserlaubnis erhalten. Sie ist hier so begehrt wie die Green Card in den USA. „Das gibt mir viel Sicherheit. Im nächsten Jahr will ich den deutschen Pass beantragen.“Eigentlich gute Gründe, zufrieden, ja vielleicht sogar ein bisschen stolz zu sein, oder? „Man soll nie zufrieden sein“, entgegnet Same lächelnd. Er weiß, was er will. „Wenn ich das Abi in der Tasche habe und finanziell auf eigenen Beinen stehe, dann kann ich ein wenig stolz sein.“Same, der in seiner Freizeit ins Fitnessstudio geht und sich in einem islamischen Kulturverein engagiert, fühlt sich hier akzeptiert. Auch integriert? Seine Antwort: „Noch nicht ganz. Eher so 80:20.“
Wafaa Kawmi, 58, kommt aus Syrien und lebt seit drei Jahren in Deutschland. Es war der 29. April als sie sich mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in den Libanon aufmachte. An ein Leben in ihrer Heimat war zu dem Zeitpunkt in Syrien nicht mehr zu denken. Ihre zwei Söhne waren bereits nach Schweden geflohen. Mit einem Resettlement-Programm der Uno ging es für die restliche Familie vom Libanon aus nach Deutschland. Über Niedersachsen kamen sie vor zweieinhalb Jahren nach Augsburg. Hier fühlt sie sich wohl. Es sei eine sehr schöne Stadt, die ihr viele Möglichkeiten biete: ob beim Einkaufen, Spazierengehen, oder wenn sie sich mit Freunden trifft. „Am liebsten habe ich die Straßenbahn. Sie hält nur eine Minute von unserer Wohnung in Lechhausen entfernt und bringt uns überall hin“, sagt sie. Etwa zu „Tür an Tür“, wo sie Deutsch lernt und sich mit anderen geflüchteten Menschen trifft. Die ehemalige Grundschullehrerin ist kommunikativ. Sie will an ihrem Deutsch arbeiten und dann, wenn möglich, eine Arbeit aufnehmen. „Kinderbetreuung wäre etwas für mich.“Sie backt und kocht auch gerne und würde damit anderen eine Freude machen wollen.
Ihre älteste Tochter studiert an der Universität Augsburg und arbeitet in einem Café am Rathausplatz, die jüngere Tochter holt das deutsche Abitur nach und will anschließend auch studieren.
Haisam Darman, 20, ist jesidischer Kurde und stammt aus dem Irak. Seine Flucht glich einer Odyssee. Mit dem Bus fuhr er in die Türkei, von dort floh er zu Fuß über Griechenland, Serbien, wo er 20 Tage im Gefängnis saß, Ungarn und Österreich nach Passau. Seit 2016 lebt er in Augsburg. Haisam ging am Alten Postweg zur Berufsschule, nebenbei jobbte er in einem Schnellimbisslokal. Als die Jugendhilfemaßnahme auslief und er nicht länger in einer pädagogisch betreuten Wohngemeinschaft beim SOS-Kinderdorf leben konnte, musste er sich dringend eine eigene Wohnung suchen. Für einen Flüchtling ohne feste Anstellung ist das ein Ding der Unmöglichkeit: ohne Job keine Wohnung und ohne Wohnung kein Job. Doch Haisam Darman bekam ein Angebot: Die große Schnellimbiss-Kette bot ihm eine Vollzeitstelle als Hilfskraft an. „Der Job macht mir Spaß.“Haisam, der über eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung verfügt, steht nun auf eigenen Beinen und muss sich mit für ihn so ungewohnten Dingen wie Rundfunkgebühren und Steuerbescheid auseinandersetzen. Wenn er Fragen hat, kann er sich an seine früheren Betreuer vom SOS-Kinderdorf wenden. „Von ihnen habe ich alles gelernt.“
Das Geld für die wenigen Einrichtungsgegenstände in seiner kleinen Mansardenwohnung im Dom2015, viertel hat er sich erspart. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in den Irak, wo immer noch Krieg herrscht, hat er aufgegeben, so schwer ihm die Trennung von seiner Familie auch fällt. „Es ist gut hier, ich habe alles.“Er sei als Flüchtling in Augsburg immer gut behandelt worden. Ob er noch einmal fliehen würde? „Nein“, antwortet Haisam nachdenklich.
Avdokia Jisiri, 70, lebte in Aleppo in Syrien. Auch sie ergriff 2014 gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn die Flucht. Zuerst ging es in den Libanon, von dort aus mit einem Resettlement-Programm der Caritas nach Deutschland. „Mit uns durften 300 Personen ausreisen. Alle kamen woanders hin.“Sie wurden nach Augsburg geschickt. Für sie ein Glücksfall. „Ich liebe diese Stadt. Sie ist so grün. Ich mag es, mit meinem Mann und Sohn am Kuhsee spazieren zu gehen.“Bei „Tür an Tür“verbessert die ehemalige Französischlehrerin ihr Deutsch. Außerdem trifft sie sich dort mit einem Kreis von Frauen, die für den Weihnachtsbasar des Vereins stricken. Sie hätten hier viele nette Menschen kennengelernt. In der Kirchengemeinde von St. Ulrich und Afra wurden sie mit offenen Armen aufgenommen. „In diesem Jahr haben mein Mann und ich goldene Hochzeit gefeiert und die Gemeinde hat ein Fest für uns ausgerichtet. Das war wunderbar.“