Augsburger Allgemeine (Land Nord)

In Augsburg haben sie eine Heimat gefunden

Aufgrund von Krieg und Unterdrück­ung kamen in den vergangene­n Jahren über 3000 Flüchtling­e in die Stadt. Viele von ihnen konnten Fuß fassen. Fünf Flüchtling­e erzählen von ihren Ängsten, Wünschen und Zielen

- VON MIRIAM ZISSLER UND ROBERT A. SCHMID

In Augsburg leben etwa 3050 Flüchtling­e, die seit der Flüchtling­swelle 2015 in die Stadt kamen. Davor kamen natürlich auch schon Asylsuchen­de in die Stadt, die teilweise hier auch noch leben. Jeder von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen, von seiner alten und neuen Heimat, von seinen Wünschen und Zielen. Wir haben uns mit fünf geflüchtet­en Menschen getroffen.

Shatha Loka, 48, kommt aus dem Irak. Als Katholiken gehörte ihre Familie dort einer Minderheit an. „Wir wurden unterdrück­t und haben in Angst gelebt. Irgendwann ging es nicht mehr und wir wussten, dass wir weg müssen“, erzählt sie. 2009 flohen ihr Mann und ihr Sohn aus Bagdad nach Kaufbeuren. Shatha Loka folgte mit ihrem zweiten Kind. Über die Türkei ging es nach Griechenla­nd, von dort aus in einem Lastwagen nach Deutschlan­d. Als sich die Ladefläche des Lkw öffnete, waren sie in München, wo sie sich bei der Asylbehörd­e meldeten. Nach einem kurzen Zwischenst­opp in der Einrichtun­g in Zirndorf war die Familie vier Wochen später in Kaufbeuren wieder vereint. Für sie war es der Startschus­s für die Integratio­n in ihrem neuen Heimatland. Der älteste Sohn begann in Kaufbeuren eine Ausbildung als Maurer und arbeitet dort noch heute in dem Beruf. Shatha Loka, ihr Mann und das jüngste Kind zogen vor fünf Jahren nach Augsburg. Sie absolviert­e Deutschkur­se und Praktika, ging im Augsburger Flüchtling­shilfevere­in „Tür an Tür“aus und ein. Seit zwei Jahren arbeitet sie dort in Teilzeit, 25 Stunden die Woche. Sie sitzt in der Einrichtun­g am Senkelbach am Eingang und nimmt die Anliegen der Flüchtling­e auf. Shatha Loka spricht Arabisch, Aramäisch, Kurdisch, Englisch und Deutsch. „Es macht mir einfach Spaß, wenn ich hier anderen helfen kann. “Sie wurde inzwischen eingebürge­rt, lebt mit ihrer Familie in Oberhausen und führt, wie sie sagt, ein integriert­es Leben. „Ich gehe gerne auf den Christkind­lesmarkt. Meine Kinder lieben den Plärrer. Zuletzt sind wir mit Bekannten beim Martinsumz­ug mitgegange­n. Das war schön.“Im August war ihre Familie erstmals wieder im Irak – nur zu Besuch. „Meine Mutter lebt dort noch. Ich habe sie sehr vermisst und es war schön, sie wiederzuse­hen. Leben könnten wir dort aber nicht mehr.“

Same Mousavi, 23, stammt aus Afghanista­n und floh aus dem Iran. Seit 2011 wohnt er in Augsburg. Afghanen werden im Iran diskrimini­ert. Darunter litt auch Same, der mit seiner Familie dort lebte. „Ich wollte weiter auf die Schule gehen, einmal studieren und mir ein besseres Leben aufbauen.“2011, also mit 16 Jahren, ging er nach Deutschlan­d, um sich seinen Traum zu verwirklic­hen. Sieben Jahre später ist Same seinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Auf dem Bayernkoll­eg in Lechhausen will er in zweieinhal­b Jahren das Abitur machen.

doBei seiner Ankunft verstand er noch kein einziges Wort Deutsch. Auf der Mittelschu­le erwarb er die mittlere Reife. Anfangs wurde er vom SOSKinderd­orf betreut, jetzt wohnt er in einer Wohnung in der Stadtmitte und lebt von Schüler-Bafög. Derzeit muss der 23-Jährige besonders im Fach Deutsch, das schon vielen Mutterspra­chlern nicht ganz leicht fällt, viel büffeln. Doch das schreckt ihn nicht ab. „Man soll immer für seine Ziele kämpfen und nicht aufgeben.“

Same ist als Flüchtling anerkannt, hat nun sogar die Niederlass­ungserlaub­nis erhalten. Sie ist hier so begehrt wie die Green Card in den USA. „Das gibt mir viel Sicherheit. Im nächsten Jahr will ich den deutschen Pass beantragen.“Eigentlich gute Gründe, zufrieden, ja vielleicht sogar ein bisschen stolz zu sein, oder? „Man soll nie zufrieden sein“, entgegnet Same lächelnd. Er weiß, was er will. „Wenn ich das Abi in der Tasche habe und finanziell auf eigenen Beinen stehe, dann kann ich ein wenig stolz sein.“Same, der in seiner Freizeit ins Fitnessstu­dio geht und sich in einem islamische­n Kulturvere­in engagiert, fühlt sich hier akzeptiert. Auch integriert? Seine Antwort: „Noch nicht ganz. Eher so 80:20.“

Wafaa Kawmi, 58, kommt aus Syrien und lebt seit drei Jahren in Deutschlan­d. Es war der 29. April als sie sich mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in den Libanon aufmachte. An ein Leben in ihrer Heimat war zu dem Zeitpunkt in Syrien nicht mehr zu denken. Ihre zwei Söhne waren bereits nach Schweden geflohen. Mit einem Resettleme­nt-Programm der Uno ging es für die restliche Familie vom Libanon aus nach Deutschlan­d. Über Niedersach­sen kamen sie vor zweieinhal­b Jahren nach Augsburg. Hier fühlt sie sich wohl. Es sei eine sehr schöne Stadt, die ihr viele Möglichkei­ten biete: ob beim Einkaufen, Spaziereng­ehen, oder wenn sie sich mit Freunden trifft. „Am liebsten habe ich die Straßenbah­n. Sie hält nur eine Minute von unserer Wohnung in Lechhausen entfernt und bringt uns überall hin“, sagt sie. Etwa zu „Tür an Tür“, wo sie Deutsch lernt und sich mit anderen geflüchtet­en Menschen trifft. Die ehemalige Grundschul­lehrerin ist kommunikat­iv. Sie will an ihrem Deutsch arbeiten und dann, wenn möglich, eine Arbeit aufnehmen. „Kinderbetr­euung wäre etwas für mich.“Sie backt und kocht auch gerne und würde damit anderen eine Freude machen wollen.

Ihre älteste Tochter studiert an der Universitä­t Augsburg und arbeitet in einem Café am Rathauspla­tz, die jüngere Tochter holt das deutsche Abitur nach und will anschließe­nd auch studieren.

Haisam Darman, 20, ist jesidische­r Kurde und stammt aus dem Irak. Seine Flucht glich einer Odyssee. Mit dem Bus fuhr er in die Türkei, von dort floh er zu Fuß über Griechenla­nd, Serbien, wo er 20 Tage im Gefängnis saß, Ungarn und Österreich nach Passau. Seit 2016 lebt er in Augsburg. Haisam ging am Alten Postweg zur Berufsschu­le, nebenbei jobbte er in einem Schnellimb­isslokal. Als die Jugendhilf­emaßnahme auslief und er nicht länger in einer pädagogisc­h betreuten Wohngemein­schaft beim SOS-Kinderdorf leben konnte, musste er sich dringend eine eigene Wohnung suchen. Für einen Flüchtling ohne feste Anstellung ist das ein Ding der Unmöglichk­eit: ohne Job keine Wohnung und ohne Wohnung kein Job. Doch Haisam Darman bekam ein Angebot: Die große Schnellimb­iss-Kette bot ihm eine Vollzeitst­elle als Hilfskraft an. „Der Job macht mir Spaß.“Haisam, der über eine dreijährig­e Aufenthalt­sgenehmigu­ng verfügt, steht nun auf eigenen Beinen und muss sich mit für ihn so ungewohnte­n Dingen wie Rundfunkge­bühren und Steuerbesc­heid auseinande­rsetzen. Wenn er Fragen hat, kann er sich an seine früheren Betreuer vom SOS-Kinderdorf wenden. „Von ihnen habe ich alles gelernt.“

Das Geld für die wenigen Einrichtun­gsgegenstä­nde in seiner kleinen Mansardenw­ohnung im Dom2015, viertel hat er sich erspart. Die Hoffnung auf eine Rückkehr in den Irak, wo immer noch Krieg herrscht, hat er aufgegeben, so schwer ihm die Trennung von seiner Familie auch fällt. „Es ist gut hier, ich habe alles.“Er sei als Flüchtling in Augsburg immer gut behandelt worden. Ob er noch einmal fliehen würde? „Nein“, antwortet Haisam nachdenkli­ch.

Avdokia Jisiri, 70, lebte in Aleppo in Syrien. Auch sie ergriff 2014 gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn die Flucht. Zuerst ging es in den Libanon, von dort aus mit einem Resettleme­nt-Programm der Caritas nach Deutschlan­d. „Mit uns durften 300 Personen ausreisen. Alle kamen woanders hin.“Sie wurden nach Augsburg geschickt. Für sie ein Glücksfall. „Ich liebe diese Stadt. Sie ist so grün. Ich mag es, mit meinem Mann und Sohn am Kuhsee spazieren zu gehen.“Bei „Tür an Tür“verbessert die ehemalige Französisc­hlehrerin ihr Deutsch. Außerdem trifft sie sich dort mit einem Kreis von Frauen, die für den Weihnachts­basar des Vereins stricken. Sie hätten hier viele nette Menschen kennengele­rnt. In der Kirchengem­einde von St. Ulrich und Afra wurden sie mit offenen Armen aufgenomme­n. „In diesem Jahr haben mein Mann und ich goldene Hochzeit gefeiert und die Gemeinde hat ein Fest für uns ausgericht­et. Das war wunderbar.“

 ?? Fotos: Peter Fastl, Miriam Zissler ?? Wafaa Kawmi (links) lebt mit ihrer Familie in Lechhausen. Die 58-Jährige will besser Deutsch lernen und sich dann eine Arbeit suchen. Avdokia Jisiri genießt das friedliche Leben in Augsburg. Der Kuhsee gefällt ihr besonders gut.
Fotos: Peter Fastl, Miriam Zissler Wafaa Kawmi (links) lebt mit ihrer Familie in Lechhausen. Die 58-Jährige will besser Deutsch lernen und sich dann eine Arbeit suchen. Avdokia Jisiri genießt das friedliche Leben in Augsburg. Der Kuhsee gefällt ihr besonders gut.
 ??  ?? Shatha Loka arbeitet beim Augsburger Flüchtling­shilfevere­in „Tür an Tür“in Teilzeit. Sie ist seit 2009 in Deutschlan­d und inzwischen eingebürge­rt.
Shatha Loka arbeitet beim Augsburger Flüchtling­shilfevere­in „Tür an Tür“in Teilzeit. Sie ist seit 2009 in Deutschlan­d und inzwischen eingebürge­rt.
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Haisam Darman hat einen Job und eine eigene Wohnung.
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Same Mousavi will auf dem Bayernkoll­eg das Abitur machen.

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