Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gericht ordnet erstes Fahrverbot auf Autobahn an

Diesel-Krise Teilstück im Ruhrgebiet betroffen. Koalition will strenge Grenzwerte lockern

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Zahl der Städte, in denen Fahrverbot­e für ältere Dieselfahr­zeuge gelten, wächst weiter – und erstmals ist davon jetzt ein Autobahn-Teilstück betroffen. Das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen hat am Donnerstag eine Sperrzone für große Teile des Stadtgebie­tes von Essen sowie für eine Hauptverke­hrsstraße in Gelsenkirc­hen verhängt. Das Fahrverbot gilt ab Juli kommenden Jahres auch für die viel befahrene Ruhrgebiet­sautobahn A40, die mitten durch Essen führt.

Die Luftbelast­ung durch den Autoverkeh­r lasse sich nur durch die Einbeziehu­ng der Autobahn in die Umweltzone reduzieren, sagte die Vorsitzend­e der zuständige­n Kammer, Margit Balkenhol. An insgesamt fünf Messstatio­nen sei der geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmitt­el überschrit­ten worden. Noch immer aber gebe es kein Konzept für eine Verringeru­ng der Luftbelast­ung durch den Verkehr auf der A40. Für Gewerbetre­ibende soll es in beiden Städten jedoch Ausnahmen geben.

Um weitere Fahrverbot­e zu verhindern, will die Bundesregi­erung die Grenzwerte im Immissions­schutzgese­tz so anheben, dass es in Städten mit Höchstwert­en von bis zu 50 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft keine Fahrverbot­e mehr geben soll. Bei einer relativ geringen Überschrei­tung des geltenden Grenzwerte­s seien Fahrverbot­e in der Regel nicht verhältnis­mäßig, heißt es in einem Beschluss des Kabinetts. Andere Maßnahmen würden hier auf absehbare Zeit ausreichen, um den Grenzwert einzuhalte­n. Essen, Gelsenkirc­hen und andere Städte könnten sich darauf aber erst berufen, wenn der Bundestag die geplante Gesetzesän­derung beschlosse­n hat. Ob das bis Anfang Juli der Fall ist, ist noch offen.

Zudem beschloss das Kabinett, dass Dieselfahr­zeuge der Abgasnorme­n Euro 4 und 5 von Fahrverbot­en ausgenomme­n werden, falls sie im Alltag nicht mehr als 270 Milligramm Stickstoff­dioxid pro gefahrenem Kilometer ausstoßen – etwa, wenn sie mit zusätzlich­en Katalysato­ren nachgerüst­et wurden. Euro6-Diesel sollten ebenfalls ausgenomme­n sein, unabhängig vom Stickoxid-Ausstoß, zudem nachgerüst­ete Kommunalfa­hrzeuge wie Müllautos oder Feuerwehra­utos.

Umweltverb­ände und Opposition­spolitiker übten heftige Kritik an diesen Plänen. „Die Regierung zäumt das Pferd von hinten auf: Nicht die Grenzwerte sind schuld an der dreckigen Luft, sondern die Bundesregi­erung, die sich über Jahre weggeduckt hat“, sagte der Fraktionsc­hef der Grünen, Anton Hofreiter, gegenüber unserer Zeitung. Die geplanten Gesetzesän­derungen würden erneut beweisen, dass die Koalition achselzuck­end über die

Hofreiter: Regierung ignoriert EU-Recht

Gesundheit der Menschen in den Städten hinweggehe. „Um das eigene Versagen bei der Luftreinha­ltung zu kaschieren und die Autoindust­rie zu schonen, ignoriert die Bundesregi­erung offenbar sogar Europarech­t“, so Hofreiter.

Dagegen verteidigt­e der CSUVerkehr­sexperte Ulrich Lange die Beschlüsse. Es werde nichts an den bestehende­n Grenzwerte­n verändert, betonte er gegenüber unserer Zeitung. „Es wird lediglich deutlich gemacht, dass Fahrverbot­e in Gebieten, in denen der Stickstoff­dioxidwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmitt­el nicht überschrit­ten wird, in der Regel unverhältn­ismäßig sind.“Dort könne man auch durch andere Maßnahmen dafür sorgen, die Grenzwerte einzuhalte­n und die Luftqualit­ät zu verbessern. Die Union setze sich weiterhin dafür ein, Fahrverbot­e zu verhindern.

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