Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Brexit: Ein Vertrag – viele Fragen
Hintergrund Wie die EU und Großbritannien ihr künftiges Zusammenleben regeln wollen
Brüssel Der Austrittsvertrag steht. Doch angesichts der Turbulenzen um die britische Regierung wird in der EU die Frage lauter, ob es vielleicht doch noch Spielraum gibt, London entgegenzukommen. Dies wird möglicherweise das zentrale Thema beim Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 25. November sein. Was steht denn nun in dem Dokument, das alle wichtigen Fragen für die Zeit nach dem 29. März 2019 klären soll?
● EU-Bürger und Arbeitnehmer Drei Millionen EU-Bürger leben und arbeiten auf der Insel, eine Million britischer Staatsbürger halten sich in anderen EU-Mitgliedstaaten auf. Für sie gilt: Alles bleibt beim Alten – zumindest bis zum Ablauf der Übergangsphase Ende Dezember 2020. Was dann passiert, muss in einem neuen Abkommen geregelt werden. Das jetzt vorliegende Abkommen schützt die ausländischen Arbeitnehmer, ihre Partner, ihre Kinder (egal, wo diese geboren sind), ihre Großeltern und Enkel. Sie haben das Recht, dort zu wohnen und zu arbeiten, wo sie sind. Ihnen stehen staatliche Leistungen ebenso zu wie Zuwendungen aus Sozialsystemen. Angestellte und Selbstständige können vorerst auch weiter ihren Job wählen, wo und bei wem sie wollen. Vorerst bleibt die Wahlfreiheit auch für Studenten erhalten. Sie können also frei entscheiden, ob sie ihre Ausbildung an den Hochschulen des Vereinigten Königreiches aufnehmen oder fortsetzen.
● Binnenmarkt Großbritannien nimmt vorerst weiter am gemeinsamen Markt zwischen den Mitgliedstaaten teil. Dabei sind die Behörden verpflichtet, auch alle in der EU geltenden Standards in Bezug auf Verbraucherschutz, Tiergesundheit, technische oder Lebensmittelsicherheit einzuhalten. Die Ängste auf dem Kontinent, dass über das Vereinigte Königreich Nahrungsmittel, die wie zum Beispiel Chlorhühnchen nicht den EU-Auflagen entsprechen, in den Handel kommen könnten, sind unbegründet. Vor allem für die Unternehmen sind die Regeln von großer Bedeutung. Wenn die Insel Ende März 2019 formell die Union verlässt, dürfen vereinbarte, aber noch nicht vollzogene Geschäfte oder Lieferungen ganz normal abgewickelt werden. Für alle Produkte und Dienstleistungen gelten bestehende Bestimmungen weiter – also zum Beispiel die Anforderungen an das CE-Kennzeichen für technische Standards.
● Reise und Urlaub Für Touristen, die bis Ende 2020 nach Großbritannien reisen wollen, ändert sich gar nichts. Ob danach tatsächlich – wie von vielen Seiten befürchtet – Visa erforderlich sind, muss in den noch ausstehenden Übereinkommen geregelt werden. Dem Städtetrip nach London oder dem Urlaub in Wales steht also vorerst nichts entgegen.
● Finanzen Großbritannien übernimmt seinen finanziellen Anteil an allen Ausgaben und Projekten, die in der EU-Finanzperiode 2014 bis 2020 zugesagt wurden. Außerdem trägt London bis Ende 2020 die Mitgliedsbeiträge an der Europäischen Zentralbank sowie der Europäischen Investitionsbank mit. Dazu zählen auch die Beiträge für den Flüchtlingsdeal mit der Türkei.
● Nordirland Es wird keine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland, das zum Königreich gehört, geben. Sollte es bis zum Ende der Übergangsphase im Dezember 2020 keine weiterführenden Regeln geben, tritt als Notlösung der „Backstop“in Kraft. Das heißt: Ganz Großbritannien verbleibt für eine begrenzte Zeit weiter in der Zollunion – damit ist der Abschluss internationaler Handelsverträge mit eigenen Partnern für London vorerst nicht möglich. Langfristig gesehen soll Nordirland die wichtigsten EU-Auflagen weiter mittragen, um zu verhindern, dass es doch noch irgendwo zu Kontrollstellen kommen muss.