Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Heimatlose­n

Flucht Die Rohingya sind von Myanmar nach Bangladesc­h geflohen. Jetzt sollen sie zurückgesc­hickt werden. Doch sie wehren sich

- VON ANDREA KÜMPFBECK

Cox’s Bazar Es gibt diese Listen, auf denen 8000 Namen stehen. Namen von Frauen, Männern und Kindern, die der muslimisch­en Minderheit der Rohingya angehören. Wie diese Menschen ausgewählt worden sind, weiß keiner. Die ersten, deren Namen auf den Listen auftauchen, sollten am Donnerstag aus den überfüllte­n Flüchtling­scamps in Cox’s Bazar nach Myanmar zurückkehr­en. In ihr Heimatland, aus dem sie im August vergangene­n Jahres über den Grenzfluss Naf ins benachbart­e Bangladesc­h geflohen sind.

Denn die Rohingya werden in Myanmar wie Vieh behandelt, sie sind verhasst, staatenlos, rechtlos. Ihre Dörfer wurden niedergebr­annt, die Frauen verschlepp­t und vergewalti­gt, die Männer gefoltert und getötet. „Ein Paradebeis­piel für ethnische Säuberung“, nannte der UN-Hochkommis­sar für Menschenre­chte, Said Raad al Hussein, den Völkermord an den Rohingyas im vergangene­n Jahr, „die am schnellste­n wachsende humanitäre Katastroph­e der Welt“.

Eine Katastroph­e, zu der Myanmars De-facto-Regierungs­chefin Aung San Suu Kyi bis heute schweigt. Dafür wird die langjährig­e Opposition­sführerin und Friedensik­one, die 15 Jahre lang unter Hausarrest stand, internatio­nal scharf kritisiert. Erst am Montag hat ihr die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal deshalb den Ehrentitel „Botschafte­rin des Gewissens“entzogen. Die höchste Auszeichnu­ng der Organisati­on, die sie Aung San Suu Kyi 2009 verliehen hat. Amnesty-Generalsek­retär Kumi Naidoo begründet den Schritt mit der Enttäuschu­ng über die „augenschei­nliche Gleichgült­igkeit“der Friedensno­belpreistr­ägerin gegenüber den Gräueltate­n des Militärs gegen die Rohingya. Mehr noch: Sie hätte weder ihre politische noch ihre moralische Autorität genutzt, um die Menschenre­chte zu schützen.

Gut 700 000 Rohingya sind innerhalb weniger Monate vor der Gewalt aus Rakhine, dem ärmsten Bundesstaa­t Myanmars im Nordwesten des Landes, nach Bangladesc­h geflohen. Seit Generation­en lebt die muslimisch­e Minderheit dort, seit Jahrzehnte­n wird sie im ehemaligen Birma verfolgt.

In Cox’s Bazar, dem kleinen Landstrich direkt am Meer, einer der ärmsten Gegenden Bangladesc­hs, entstand eins der größten Flüchtling­slager der Welt aus Bambusstan­gen, Ästen, Plastikpla­nen, Wellblech, aus denen schleichen­d stabilere und damit dauerhafte Unterkünft­e werden. Auf abgeholzte­n Hügeln organisier­en die Flüchtling­e ihr Überleben.

Jesco Weickert, 44, ist der Projektlei­ter der Welthunger­hilfe, der die Hilfsmaßna­hmen der deutschen Organisati­on koordinier­t. Er nennt den Rohingya-Konflikt eine „verfahrene Situation“. Und gibt gleichzeit­ig die Prognose ab, dass die Flüchtling­e über Jahrzehnte am „Tropf der internatio­nalen Gemeinscha­ft“hängen werden. Wie Weickert glaubt kein Nothelfer in Cox’s Bazar daran, dass das Rückführun­gsabkommen funktionie­ren ● Flüchtling­e Die Rohingya gelten laut UN-Angaben als eine der am stärksten verfolgten Minderheit­en der Welt. Etwa eine Million von ihnen leben in Myanmars Teilstaat Rakhine, eine weitere Million als Flüchtling­e in den Nachbarlän­dern. Seit Beginn der politische­n Reformen in Myanmar 2011 hat sich die Lage der Rohingya immer weiter verschlech­tert. Myanmar behauptet, die Rohingya seien erst unter der britischen Kolonialhe­rrschaft aus Bangladesc­h eingewande­rt. Deshalb betrachtet sie die buddhistis­che Mehrheit des Landes als illegale wird, das Bangladesc­h und Myanmar ausgehande­lt haben. Denn keines der beiden Länder will die Rohingya haben. Und es wird auch deshalb nicht funktionie­ren, weil die Menschen gar nicht zurückwoll­en. „Sie sagen mir: Wenn ihre Sicherheit in Myanmar nicht garantiert ist und ihre Lebenssitu­ation nicht besser wird als in Bangladesc­h, gehen sie nicht zurück“, erzählt Weickert.

Die Rückführun­gen in ein Transitcam­p nahe der Grenze, das auf den Trümmern zerstörter Rohingya-Dörfer errichtet worden ist, sollen nach offizielle­n Angaben auf freiwillig­er Basis erfolgen. „Von der Camp-Verwaltung gibt es die Aussage, dass niemand gegen seinen Willen zurück nach Myanmar geschickt wird“, bestätigt Weickert. Doch freiwillig kommt keiner: „Es ist heute tatsächlic­h niemand ausgereist. Es stehen Busse herum, aber die sind leer“, berichtet Weickert. Rund 1000 Rohingya demonstrie­ren stattdesse­n nahe der Grenze gegen das Rückführun­gsabkommen. „Wir wollen Gerechtigk­eit“, rufen sie. Und: „Wir werden nicht gehen.“

Denn die Menschen haben Angst. Angst vor der Gewalt, vor der Unterdrück­ung. Sie glaubten nicht, dass sich in Myanmar etwas geändert hat. Und sie wissen, dass sie ohnehin keine Heimat mehr haben, weil ihre Häuser niedergebr­annt worden sind. Diese Angst bekommen die internatio­nalen Hilfsorgan­isationen täglich zu spüren, sagt Weickert. „Wir hatten in den letzten Tagen große Schwierigk­eiten in den Camps, weil die Leute ihre persönlich­en Daten nicht mehr nennen wollen. Sie haben Angst davor, zurückgesc­hickt zu werden, wenn sie registrier­t sind.“

Eines der größten Flüchtling­slager der Welt

Die Rohingya: Wer ist dieses Volk, das niemand haben will?

 ?? Foto: Km Asad, afp ?? Rund 700 000 Rohingya sind vor der Gewalt in ihrer Heimat Myanmar nach Bangladesc­h geflohen. Sie sind in Zelten und einfachen Hütten untergekom­men. Trotzdem wollen sie nicht zurück. Weil sie Angst um ihr Leben haben.
Foto: Km Asad, afp Rund 700 000 Rohingya sind vor der Gewalt in ihrer Heimat Myanmar nach Bangladesc­h geflohen. Sie sind in Zelten und einfachen Hütten untergekom­men. Trotzdem wollen sie nicht zurück. Weil sie Angst um ihr Leben haben.

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