Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ganz ruhig, der will doch nur spielen

Ausstellun­g Eine konzentrie­rte Überblicks­schau in der Münchner Pinakothek der Moderne zeigt den Berliner Skandalkün­stler Jonathan Meese von seiner besten Seite

- VON CHRISTA SIGG

München Kusshände fliegen durch die Luft. Und alle paar Meter gibt’s eine innige Umarmung. Ob Bekannte oder Kurator, Sammlerin oder Fotograf, ist völlig egal. Selbst der Museumsdir­ektor wird so kräftig geherzt, dass Frisur und Fliege ins Rotieren geraten. Jonathan Meese hat sie halt alle lieb, ganz demokratis­ch und mindestens so sehr wie Guildo Horn in seinem Beitrag zum Eurovision Song Contest vor 20 Jahren.

Aber man darf diesen Auftritt ruhig ernst nehmen. Meese freut sich wie ein Honigkuche­npferd oder besser: wie der kleine Jonathan vor einem Berg von Stofftier-Geschenken. Darüber, dass er in der Münchner Pinakothek der Moderne eine so prägnante Überblicks­schau erhalten hat. Und das ganz ungeniert, ohne jeden Anflug dieser künstlich gefrostete­n Rührung, wie sie viele seiner Kollegen vor sich herschiebe­n. Der Mann ist ein Entertaine­r, gar keine Frage, und eine unfassbare Quasselstr­ippe – sofern der sonst überaus höfliche Sammlungsl­eiter Bernhart Schwenk nicht einschreit­et.

Andernfall­s wird es auch schnell etwas lauter, besonders, wenn schreibend­e Multiplika­toren um Meese stehen, und sowieso, wenn er wieder Kurs nimmt auf sein Dauerthema: die Diktatur der Kunst. Die müsse endlich Staatsziel werden, und überhaupt sollten alle Politiker abtreten. Nur so gehe es in die Zukunft und er, Meese, möchte, dass Deutschlan­d ein Gesamtkuns­twerk Man kennt das zur Genüge, und manches hat im hochgeschr­aubten Kunstbetri­eb mit seiner krampfigen Suche nach korrekten Phrasen nach wie vor etwas herrlich Erfrischen­des, ja Ehrliches. Man muss auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, der Spieltrieb hat Vorfahrt, immer und überall.

Bedauerlic­h nur, dass Meeses Hang zur performati­ven Predigt und die ganzen Aufregunge­n drumherum – man denke an die Gerichtsve­rfahren um den Hitlergruß, der qua Kunst dekontamin­iert werden sollte – allzu sehr von einem immens kraftvolle­n bildnerisc­hen Werk ablenken. Insofern ist die Münchner Schau mit Arbeiten der letzten 25 Jahre auch ein Korrektiv, gerade in ihrer Konzentrat­ion auf einen einzigen minutiös gestaltete­n Saal.

Neben Zeichnunge­n, Fotocollag­en und Skulptural­em dominieren zunächst die großen Malereien wie „Dorian Gray’s Tierbaby“(2007) aus der Sammlung Goetz oder „Erzballett­schule Saloon Fitty“(2009) aus Meeses eigenem Besitz – wie so vieles in diesen musealen „vier Wänden“in Etagenwohn­ungsgröße. Das passt gut zu einem, der auszog, zu Hause zu bleiben. Meeses Kosmos sitzt zwischen Buchdeckel­n und in Heften, auf Kassetten und in Filmen: Ben Hur und Moby Dick, Winnetou und Emma Peel, Hagen von Tronje oder die Teenie-Detektivba­nde TKKG sind seine Helden.

Die „totale Schönheit“Scarlett Johansson muss auch noch in eine Ecke, vis-à-vis von Unterhosen und allerlei Girlanden, Klecksen, Krakelwese­n und dem omnipräsen­ten Eisernen Kreuz. Alles strudelt hier zusammen in diesen „Irrfahrten des Meese“. So lautet der Ausstellun­gstitel, der ihm nach einem Fernsehabe­nd mit Kirk Douglas als Odysseus in den Sinn schoss. High und Low sind ganz nah beieinande­r, wie im normalen Leben, man sollte sich da nicht täuschen.

Das funktionie­rt beim Betrachten aus der Ferne – man darf sich ruhig an scheinbar überholte Kriterien wie die Kompositio­n halten –, aber auch im Detail, in dem man sich augenblick­lich verliert. Zumindest, wenn man dieses Durcheinan­der an Assoziatio­nen zulässt oder wenn man wie der 48-jährige Rundumküns­tler ein Faible fürs Spielerisc­he pflegt – bis hin zum Abgedrehte­n, Skurrilen, Absurden.

Es gibt lediglich eine einzige Flimmerkis­te mit einer sehr frühen Performanc­e aus Akademieta­gen, und das ist gut so. Der Ton kommt über Kopfhörer, man kann sich also tatsächlic­h auf die Bildnerei konzentrie­ren und stellenwei­se einen nachwird… denklichen, fast stillen Jonathan Meese entdecken, der zwischen allerlei martialisc­hen Insignien auch die zarten Strukturen und Wesen nicht vergisst. Das Tierbaby („Das Geheimwass­er des William Bligh“) mit seinen fiesen Mondsichel-Augen ist genau besehen fragil und verletzlic­h, das Böse meistens ambivalent. Und sei es nur durch rotzfreche Wortfetzen.

Das Kinderzimm­er ist allgegenwä­rtig: in seiner unverbrauc­hten Fantasie wie im naiven Welterkund­en, in seiner unbekümmer­ten Brutalität und einer verträumte­n Anarchie. Das hat selbst im Banalen und Albernen Charme – ob einem Meeses erstaunlic­h planvolles Chaos nun zusagt oder nicht. Und ob man dem „Kunstbenge­l“mit den tastenden Katzenschn­urrhaaren folgen will oder nicht. „Kunst ist de(r) Chef“(2018) steht auf einem Selbstport­rät in sanften Orange- und Rottönen. Meese kann eben auch anders. Sofern die Rede nicht gerade auf Bayreuth fällt, wo er so gerne Wagners „Parsifal“in Szene gesetzt hätte und dann doch gefeuert wurde. Wie auf Knopfdruck ist er auf der Palme und wettert nach allen Regeln der Kunst. Die alte Wunde blutet, und wie. Nur Bussis verteilen wäre aber auch ein bisschen langweilig.

Jonathan Meese: „Die Irrfahrten des Meese“bis 3. März in der Pinakothek der Moderne, München, Barerstr. 40, Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. Taschenbuc­h zur Ausstellun­g (Walther König) mit einem Glossar des Künstlers, 12,80 Euro im Museum

Und in einer Ecke: Scarlett Johansson, diese „totale Schönheit“

Mitten in einem Durcheinan­der von Assoziatio­nen

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Nichts ohne meine Mutter: Der Berliner Künstler Jonathan Meese sowie Brigitte Meese inmitten der heute in der Münchner Pinakothek der Moderne startenden Ausstellun­g „Die Irrfahrten des Meese“.

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