Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Tatmotiv: Opfern beim Verfall zusehen
Anklage 57-Jähriger soll Arbeitskollegen über Jahre hinweg vergiftet haben
Bielefeld Er trägt Jeans und einen blauen, unauffälligen Pulli. Mit einem ebenfalls blauen Aktendeckel vor dem Gesicht schützt er sich vor den Fotografen. Brillen- und Bartträger Klaus O. steht wegen versuchten Mordes sowie schwerer und gefährlicher Körperverletzung in Bielefeld vor Gericht, weil er Pausenbrote von Kollegen vergiftet haben soll.
Ein Kollege aus dem Betrieb in Ostwestfalen liegt mit schweren Hirnschäden im Wachkoma und muss künstlich ernährt werden. Die beiden anderen Opfer haben chronische Nierenschäden. Ein Opfer soll Klaus O. nach zwei Krankenhausaufenthalten und der wiederholten Rückkehr an den Arbeitsplatz erneut vergiftet haben.
Mehr als drei Jahrzehnte hatte der jung wirkende Schlosser unauffällig bei dem Anlagenbauer gearbeitet. Er galt als Einzelgänger. Streit mit den Kollegen habe es nie gegeben. Jetzt, mit 57 Jahren, wirft ihm die Anklage Taten vor, die in den vergangenen sechs Monaten für Schlagzeilen gesorgt haben.
Zum Prozessauftakt schildert der Staatsanwalt, wie der Angeklagte über Jahre heimlich Gift auf die Pausenstullen der Opfer gestreut hatte. Die Kollegen waren im Frühjahr 2018 aus allen Wolken gefallen, als die Sache aufflog. Der Anwalt eines kranken Nebenklägers sagte vor dem Prozessstart: „Es gab ein Vertrauensverhältnis wie in jedem Betrieb unter Kollegen, keiner hat mit so etwas gerechnet.“
Entdeckt wurden die Vergiftungen, als der jetzige Nebenkläger eines Tages eine Art Schmutz auf seinen Broten bemerkte. Am nächsten Tag machte er einen Test. Er achtete ausdrücklich darauf, saubere Stullen einzupacken. Als die Brote dann in der Pause erneut verschmutzt waren, schaltete er die Polizei und die Firmenleitung ein. Eine heimlich installierte Videokamera überführte in Absprache mit dem Betriebsrat den Angeklagten. Allerdings dachte in diesem Moment niemand an Mordversuche. Erst die Analyse der „Schmutzpartikel“brachte dann die Gewissheit: Es waren hochgiftige Substanzen. Experten des Landeskriminalamtes ermittelten Bleiacetat, Cadmium, Blei und Quecksilber.