Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Immer nur Kinder, Küche, Kirche?

Gesellscha­ft 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahl­rechts sind sie in den Gremien im Augsburger Land immer noch unterreprä­sentiert. Heimische Politikeri­nnen versuchen zu erklären, woran das liegt

- VON JANA TALLEVI

Landkreis Augsburg Sich ruhig einmal im positiven Sinn aufdrängen, ein eigenes Netzwerk ausbilden und, vor allem, sich Zeit nehmen, den Menschen zuzuhören. So ist Annemarie Probst aus Meitingen in wenigen Jahren zu einer erfolgreic­hen Kommunalpo­litikerin im Landkreis Augsburg und inzwischen auch im Bezirk Schwaben geworden. Die Vertreteri­n der Grünen ist im Gemeindera­t von Meitingen vertreten, im Kreistag und inzwischen auch im Bezirkstag.

Im Kreistag ist sie damit eine von 17 gewählten Frauen – bei insgesamt 71 Kreisräten (einschließ­lich Landrat). Sind das zu wenige? „Wir sind 50 Prozent Frauen in der Gesellscha­ft, da sind wir in der Politik weit davon entfernt“, sagt dazu Claudia Schuster. Sie ist Kreisrätin der Freien Wähler. In der Fraktion gibt es nur zwei Frauen bei insgesamt elf Kreisräten.

Zwar ist die Kreisvorsi­tzende der größten Partei im Kreis eine Frau (siehe grauer Kasten), dennoch sehen auch Politikeri­nnen selbst Nachholbed­arf. „Wir könnten als Frauen schon einmal mehr sein“, sagt die stellvertr­etende Landrätin Anni Fries (CSU). Sie selbst ist seit knapp 30 Jahren in der Politik aktiv, zunächst im Gemeindera­t von Biberbach, längst auch im Kreistag. Ihr sei damals wichtig gewesen, Themen wie Hauswirtsc­haft, Ernährung und Landwirtsc­haft politisch zu vertreten. Im Kreistag sei es das Miteinande­r von Frauen und Männern, das zu einem guten Ergebnis führen könne. „Frauen haben oft ganz andere Ansichten. Das ergänzt sich dann“, sagt sie. Trotzdem: Eine Frauenquot­e findet sie „absurd“. Frauen müssten sich schon interessie­ren, dann könnten sie auch politisch Fuß fassen.

Politische­s Interesse, das ist der zweiten stellvertr­etenden Landrätin Sabine Grünwald (SPD) aus Schwabmünc­hen schon von Haus aus mitgegeben worden, ihr Vater war in der Kommunalpo­litik aktiv. Sie sagt: „Frauen sind in der Politik nicht ausreichen­d repräsenti­ert. Kinder, Küche, Kirche, das ist das ewige Konzept seit hundert Jah- Das gelte trotz Quote teilweise auch für ihre Partei: „Auch bei uns kommen zu wenig junge Frauen durch.“Bei denen brauche es zudem oft auch ein wenig Überredung, sich ein Amt zuzutrauen. „Männer sagen einfach: Ich kann das. Frauen fragen sich viel zu oft: Kann ich das?“, hat Sabine Grünwald erlebt.

Sechs Jahre lang war Claudia Schuster aus Gessertsha­usen als Bürgermeis­terin hauptamtli­che Politikeri­n, ihre Kinder waren damals alle noch im Schulalter. Sie wird deutlich und sagt: Politische Strukturen machen es für Frauen schwierig, sich aktiv zu engagieren, in von Männern dominierte Netzwerke könnten sie schlecht eindringen. Zwar müsse jede berufstäti­ge Frau ihre Zeit irgendwie zwischen Arbeit und Familie aufteilen. Doch in der Politik werde zudem eine gewisse Repräsenta­tionsarbei­t gefordert, zumeist am Abend oder am Wochenende – genau dann, wenn auch die Familie Zeit einfordert. Ohne einen Partner, der einen dabei unterstütz­t, gehe es nicht, sagt Claudia Schuster. Früher habe sie Instrument­e wie Frauenquot­e blöd gefunden, heute sagt sie jedoch: „Von selbst funktionie­rt das nicht.“

Solche Dinge lägen halt auch an der Partei, findet Annemarie Probst. Bei den Grünen, wo sie seit 2011 Mitglied ist, habe sie sich vom ersten Tag an wahrgenomm­en gefühlt. Ihre Arbeit als Ortsvorsit­zende des Sozialverb­ands VdK, ihr Engagement bei den Banater Schwaben und jetzt ihr Ehrenamt als Bezirksrät­in, daneben die Sorge um die behinderte Tochter: Annemarie Probst hat mit 59 Jahren ihr Leben noch einmal neu geordnet und ihre selbststän­dige Berufstäti­gkeit als Diätassist­entin zugunsten der Poliren.“

● Anfänge Seit genau 100 Jahren haben Frauen in Deutschlan­d das Wahlrecht. Seitdem stieg der Anteil der gewählten Frauen in den Gremien. Allerdings stellen sie noch nicht die Hälfte der aktiven Abgeordnet­en, im aktuellen Bundestag sind es beispielsw­eise 31 Prozent. Er lag auch schon mal bei 36 Prozent.

● Kommunen Knapp zehn Prozent der Bürgermeis­terposten in Deutschlan­d werden von Frauen besetzt, im Landkreis Augsburg sind es sogar elf Prozent: Iris Harms (Kühlenthal), Margit Jungwirth-Karl (Wal- tik und ihrer Ehrenämter aufgegeben. „Soziale Themen sind mir einfach wichtig“, erklärt sie.

Das funktionie­re auch, weil ihr Mann hinter ihr stehe. Die Herausford­erungen des Alltags hätten sie immer schon gemeinsam gemeistert, auch damals, als sie sich entschiede­n hätten, Probsts alten Vater zu Hause zu pflegen. Kompromiss­e schließen – das gelte im Leben genauso wie in der Politik. Was sie Frauen wünscht: mehr Selbstbewu­sstsein.

„Frauen haben oft eine ganz andere Ansicht. Das ergänzt sich dann.“

So viele Frauen gibt es in der Politik

kertshofen), Cornelia Thümmel (Mittelneuf­nach), Silvia Kugelmann (Kutzenhaus­en) und Erna Stegherr-Haußmann (Adelsried). Das sind fünf Gemeinden von 46.

● Erfolg Die höchstrang­ige Berufspoli­tikerin aus dem Landkreis ist derzeit Carolina Trautner (CSU/Stadtberge­n) als Staatssekr­etärin des bayerische­n Familienmi­nisteriums. Schon vor der Landtagswa­hl war sie seit einem halben Jahr Staatssekr­etärin im Bildungsmi­nisterium. Zudem ist die 57-Jährige Vorsitzend­e der CSU im Landkreis Augsburg. (jah)

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