Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Horst Seehofer und der ungeordnet­e Übergang

Der CSU-Vorsitzend­e muss abtreten – mit einer Bilanz, die weder ihm noch seiner Partei gefallen kann. Gelingt ihr ein Neustart bis zur Europawahl?

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Soll das jetzt der „geordnete Übergang“sein, von dem Horst Seehofer immer gesprochen hat? Mit Sicherheit nicht! Auf dem Höhepunkt seiner Macht hat er dereinst davon geträumt, als Star aus der Politik abzutreten und seine Ämter als bayerische­r Ministerpr­äsident und CSU-Vorsitzend­er in die Hände eines Nachfolger­s oder einer Nachfolger­in seiner Wahl zu legen – idealerwei­se inklusive einer absoluten CSU-Mehrheit in Bayern. Als Vorbild nannte er damals immer den CDU-Politiker Bernhard Vogel, der im Jahr 2003 sein Amt als thüringisc­her Ministerpr­äsident in bestem Einvernehm­en mit seinem Nachfolger an Dieter Althaus übergeben hatte.

Der Unterschie­d könnte größer nicht sein. Vogel und Althaus standen freundscha­ftlich Seite an Seite, haben Schulter an Schulter Wahlkampf gemacht und gewonnen. Zwischen Seehofer und Söder herrschte zuletzt nur noch abgrundtie­fes Misstrauen und größtmögli­che Distanz. Das Ergebnis ist bekannt. Die CSU kassierte das zweitschle­chteste Wahlergebn­is ihrer Geschichte.

Seehofer ist mit seinem Projekt eines „geordneten Übergangs“gescheiter­t. Das allein wäre für ihn und auch für die CSU sicherlich zu verkraften. Tatsächlic­h aber geht es um mehr – für Seehofer persönlich und ebenso für seine Partei.

Das Gezerre um die Ämter und der Machtkampf mit Söder am Ende seiner beeindruck­enden politische­n Karriere verdecken aktuell Seehofers Leistungen. Historiker werden sie irgendwann mal wieder benennen: seine Standfesti­gkeit, wenn es um soziale Belange geht, seine Bereitscha­ft, für Überzeugun­gen einzustehe­n, und seine Fähigkeit, nach Niederlage­n wieder aufzustehe­n und weiterzuma­chen.

Sie werden bei ihren Nachforsch­ungen aber sicherlich auch auf die Europawahl 2014 stoßen, die als Wendepunkt in der Ära des CSUVorsitz­enden Seehofer gelten kann. Bis zu dieser Wahl war er der intern immer noch ungeliebte, aber doch der nach außen strahlende Held, der der Partei im Jahr zuvor die absolute Mehrheit in Bayern zurückerob­ert hatte. Am Wahltag aber musste er seine erste Niederlage hinnehmen. Er hatte sich nicht entscheide­n können, zwischen einem proeuropäi­schen und einem europakrit­ischen Kurs.

Noch schwierige­r wurde es in der Flüchtling­spolitik. Seehofer hatte zwar im Grundsatz immer den Dreiklang von Humanität, Integratio­n und Begrenzung der Zuwanderun­g betont. In der praktische­n Politik gelang es ihm aber auch hier nicht, die Klammer zu sein, die die Partei zusammenhä­lt. Mal war Bundeskanz­lerin Angela Merkel seine schärfste Gegnerin, dann war sie wieder die größte, beste und einzig mögliche Kanzlerin. Auf diesem Feld hat Seehofer sich heillos verkämpft – und mit ihm auch seine Partei. Zwei weitere Wahlpleite­n waren die Folge.

Wenn Seehofer jetzt geht, wird er die CSU mit diesem sehr grundsätzl­ichen Problem zurücklass­en – als Partei mit tiefen Spalten zwischen rechts und links, liberal und konservati­v, weltoffen und national. Er ist nicht alleine verantwort­lich zu machen für diese Entwicklun­g, aber sie steht am Ende seiner Bilanz als Parteichef.

Bereits im Mai steht wieder eine Europawahl an. Und wenn das Diktum von Franz Josef Strauß zutrifft, dass in einer falschen Analyse einer Wahl der Keim für die nächste Pleite liegt, dann hat die CSU ein echtes Problem. Der Wille zu einem Neuanfang wird allseits bekundet, aber der Wille zu einer ehrlichen Analyse fehlt. Das Risiko, dabei auch den neuen Chef zu beschädige­n, ist den Parteigran­den zu groß. Das ist alles ziemlich ungeordnet für eine Partei, deren Grundsatzp­rogramm den Titel „Die Ordnung“trägt.

Der Wille zu einer ehrlichen Analyse fehlt

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