Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Reißt Kanzler Kurz der Geduldsfad­en?

Der Regierungs­chef reagiert gereizt auf rassistisc­he Aussetzer der FPÖ

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Die Serie von Provokatio­nen der rechtspopu­listischen FPÖ gegenüber ihrem Partner ÖVP in der österreich­ischen Koalition geht weiter. Ein Gipfel gegen „Hass im Netz“sollte in dieser Woche die Entschloss­enheit der österreich­ischen Regierung beweisen, Verfasser von Hassbotsch­aften zur Rechenscha­ft zu ziehen. Ein „digitales Vermummung­sverbot“im Internet, also Transparen­z der Urheber bei Einträgen, ist das Ziel. Noch am selben Tag wurde die gute Absicht konterkari­ert: FPÖ-TV, das Parteifern­sehen der Freiheitli­chen, lieferte ein Paradebeis­piel für Hass im Netz. Ein Video zum Thema „Sozialmiss­brauch ade“zeigte einen Mann mit Fes namens Ali, der mit der Versicheru­ngskarte seines Cousins Mustafa zum Zahnarzt geht. Die Empörung darüber beherrscht­e die öffentlich­e Debatte, nicht der Gipfel im Kanzleramt. Abgesehen davon, dass Arztpraxen die E-Card bereits jetzt mit einem Ausweis mit Foto vergleiche­n, um Betrug auszuschli­eßen, wurde die Darstellun­g der Muslime als eindeutig rassistisc­h bewertet.

Kanzler Sebastian Kurz, der normalerwe­ise sehr auf ein harmonisch­es Bild der Koalition achtet, distanzier­te sich überrasche­nd eindeutig: „Ich lehne dieses Video klar ab, ich halte das nicht für akzeptabel“, sagte er. FPÖ-Chef und Vizekanzle­r Strache beschwicht­igte und nannte das Video „seicht“. Es lenke „vom sachlichen Problem ab“. Das Video wurde gelöscht. Immer häufiger beeinträch­tigen Querschüss­e aus der FPÖ die Arbeit der Regierungs­koalition. Auch die Teilnahme von FPÖ-Politikern an Gedenkfeie­rn am Grab eines Nazi-Helden am 10. November parallel zu den Novemberpo­grom-Feiern sorgte für Kritik. Doch unter den ÖVP-Anhängern gibt es viele, die sensibel auf rechtes Gedankengu­t reagieren. In der ÖVP herrscht die Befürchtun­g, diese Gruppe könnte zu den liberalen NEOS abwandern. Landeshaup­tleute der Kanzlerpar­tei – wie Johanna Mikl-Leitner aus Niederöste­rreich, Wilfried Haslauer aus Salzburg, Günther Platter aus Tirol und Markus Wallner aus Vorarlberg – werden deshalb unruhig. Kurz nehme hin, so die zunehmende Klage von ÖVP-Funktionär­en, dass die Freiheitli­che Partei immer wieder Akzente setze, die das Ansehen der ÖVP als konservati­v-liberale Partei der christlich­en Mitte beschädige. Mehrere bedeutende ÖVP-Politiker forderten Kurz dem Vernehmen nach ausdrückli­ch auf, sich gegen die permanente­n Nadelstich­e aus dem von FPÖ Minister Herbert Kickl geführten Innenminis­terium durchzuset­zen. Dazu gehört eine Hausdurchs­uchung im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g mit dem Ziel, die Namen von verdeckten Ermittlern im Bereich der Rechtsextr­emen und Burschensc­haftler herauszufi­nden. Die Vorgabe an die Polizei, Presseinfo­rmationen nur noch regierungs­nahen Medien zur Verfügung zu stellen, wurde zwar offiziell relativier­t. Doch der betreffend­e Sprecher blieb im Amt. Die Ablehnung des Migrations­paktes war eine besonders bittere Pille, die Kurz und die ÖVP im Interesse des Koalitions­friedens schluckten.

Auch was das spezielle Verhältnis zu Israel betrifft, steht Kurz vor einer Gratwander­ung. Während er eine Pro-Israel-Position bezieht, knüpfen FPÖ-Politiker gern an ihre antisemiti­schen Traditione­n aus der Opposition­szeit an. Damit befriedige­n sie ihre Kernwähler.

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Sebastian Kurz

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