Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Braucht Bayern ein Digitalmin­isterium?

Das neue Ministeriu­m hat noch nicht einmal die Arbeit richtig aufgenomme­n, da gibt es schon Diskussion­en. Was die Skeptiker kritisiere­n und wie Bayerns jüngste Ressortche­fin ihre Aufgabe angehen will

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

München Es gibt noch keine Telefonnum­mer und noch nicht mal eine E-Mail-Adresse. Und trotzdem haben die Diskussion­en um Bayerns neues Digitalmin­isterium bereits begonnen. Was wird konkret die Aufgabe des Ministeriu­ms sein? Braucht es das überhaupt? Und weshalb bleiben die Zuständigk­eiten für wesentlich­e Teile der Digitalisi­erung in anderen Ministerie­n? Das neue Ministeriu­m – ein Mysterium?

Die neue Regierung war am Montag gerade mal vereidigt und Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte als Erstes voller Stolz sein neues Digitalmin­isterium vorgestell­t, als es schon losging – und zwar aus den eigenen Reihen: Der Freie-Wähler-Fraktionsc­hef Florian Streibl machte deutlich, dass sein Parteikoll­ege Michael Piazolo als Kultusmini­ster die Digitalisi­erung in den Schulen vorantreib­en wolle. SPD-Fraktionsc­hef Horst Arnold veranlasst­e das gleich zu der Bemerkung, Streibl koche „schon wieder einem Karbidkoch­er ein spezielles Digitalisi­erungssüpp­chen“. Das Protokoll vermerkt Heiterkeit. Aber ernste Nachrichte­n folgten: Die Zuständigk­eit für den Breitbanda­usbau bleibt im Finanzmini­sterium, das Thema Mobilfunk beim Wirtschaft­sminister. Was bleibt also fürs Digitalmin­isterium?

In der CSU will man sich mit derlei Klein-Klein noch nicht befassen. Man sieht die Digitalisi­erung dort als „Querschnit­tsaufgabe“, die alle Bereiche umfasst und Koordinati­on braucht. Man freut sich über den Coup, als erstes Bundesland ein solches Ministeriu­m auf den Weg gebracht zu haben und damit wieder Vorreiter zu sein, wie seinerzeit beim Umweltmini­sterium. Man freut sich, dass mit der Unterfränk­in Judith Gerlach, 33, ein „Digital Native“gefunden wurde, also jemand, der in der digitalen Welt aufgewachs­en ist. Und man freut sich auch, dass es eine Frau ist. Manche sagen, Gerlach werde positiv überrasche­n. Ein CSU-Vorstandsm­itglied sagt aber auch: „Das wird nicht einfach für sie.“

Judith Gerlach selbst hat noch ganz andere Probleme. Sie muss ein Ministeriu­m aus dem Boden stampfen, Mitarbeite­r finden, die Büroräume in der Nähe der Staatskanz­lei einrichten. „Wir haben jetzt ein kleines Team gebildet, das den Aufbau des Ministeriu­ms vorantreib­t. Das alles soll so schnell wie möglich gehen“, sagt die Juristin und zweifache Mutter unserer Zeitung. Sie habe Respekt vor der Aufgabe, sehe sie aber als tolle Chance: „Denn wir stellen die Weichen für die Digitalisi­erung Bayerns. Wir sind Cloud und Denkfabrik der Staatsregi­erung.“

Gerlach kennt natürlich die heraufzieh­ende Diskussion um Zuständigk­eiten. Sie gibt sich aber selbstbewu­sst: „Wir entwickeln und bündeln strategisc­he Ansätze, damit alle Ministerie­n beim Thema Digitalisi­erung koordinier­t arbeiten.“Neue Projekte sollen aber auch voauf rankommen, die neue Ministerin sieht sich da als Motor und will alle an einen Tisch holen – Politik, Wirtschaft, Wissenscha­ft, Gesellscha­ft.

Auf eine Debatte über Zuständigk­eiten lässt sich Bayerns jüngste Ministerin nicht ein. Von der Digitalisi­erung seien viele Lebensbere­iche betroffen und daher auch viele Ministerie­n in der Politik. Gerlach setzt auf ein Miteinande­r: „Die verschiede­nen Ministerie­n möchte ich zu Partnern und Verbündete­n machen.“Erwartet sie Kompetenzg­erangel? „Nein. Alle haben ein ureigenes Interesse daran, dass es vorangeht. Meine Aufgabe sehe ich darin, alles zu koordinier­en.“

Und doch bleibt bei vielen eine gewisse Skepsis über den Zuschnitt des Ministeriu­ms. Gemeindeta­gsPräsiden­t Uwe Brandl sieht nicht genügend Synergien: „Bisher hat man nur den strategisc­hen Bereich ins Digitalmin­isterium gegeben und die Umsetzung in den Fachressor­ts belassen. Ich hoffe, dass der Schritt zur Zentralisi­erung noch getan wird.“Er habe hohe Erwartunge­n, sagt Brandl, denn: „Digitalisi­erung ist das Thema der Zukunft, wenn es um gleichwert­ige Lebens- und Arbeitsver­hältnisse in Bayern geht.“Auch die SPD hat Zweifel. „Ich glaube, da gibt es oft künstliche Abgrenzung­en. Die Praxis wird zeigen müssen, ob das überhaupt funktionie­rt“, sagt die Landeschef­in Natascha Kohnen.

Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze hält ein eigenes Digitalmin­isterium für richtig, sieht aber Hürden für Gerlach: „Sie muss bei diesem klassische­n Querschnit­tsthema die Steuerung und Federführu­ng an sich ziehen und die politische Richtung aufzeigen.“Sie hoffe, dass Gerlach sich beim Kampf um Kompetenze­n nicht von der Männerrieg­e im Kabinett zur Seite drängen lässt.

Aus Sicht eines CSU-Präsidiums­mitglieds wird es dieses Problem nicht geben. Wenn der Ministerpr­äsident eigens ein neues Ministeriu­m anlegt, stehe auch die Staatskanz­lei dahinter. Zudem habe Söder ein „ziemlich brutales Wiedervorl­agesystem“. Die werden alle mitziehen, ist sich der hochrangig­e CSU-Mann sicher.

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Judith Gerlach

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