Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Funkloch

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Wie hat Kolumbus das eigentlich ausgehalte­n? Leonardo da Vinci? Kant? Goethe? Jeanne d’ Arc? Ihnen allen war die Welt ein einziges Funkloch. Kompass ja, Zirkel, Tinte. Aber kein drahtloser Empfang, nirgends! In den Käffern und Dörfern, Wäldern und Einöden nicht, aber eben auch nicht in den Weltstädte­n. London, Paris, New York: jeder Ort ein Funkloch, vom Zentrum bis an die Ränder.

Mag man noch so gut vernetzt gewesen sein in seinem Herrenklub, seiner Loge, seiner Zunft: Wo immer man war, eines war immer schon da – das Funkloch. Größer als jeder Höllenschl­und, allgegenwä­rtig wie Tag und Nacht, maximale Ausdehnung, unsichtbar wie das Jenseits und das Nichts. Weites Land überall, aber kein WLAN.

Jetzt aber ein Zeitsprung vom schwarzen Loch der Vorzeit in die Provinz, zu Andreas Scheuer, zu seinem Kampf gegen die letzten Funklöcher. Es gibt sie immer noch, aber sie sind jetzt eingekreis­t, markiert, gebrandmar­kt, lokalisier­t: Schwachste­llen im smarten System der lückenlose­n Kommunikat­ion. Vermutlich schließt sich das Ozonloch schneller, als es die allerletzt­en Funklöcher tun, die Telefonier­ende zum Schweigen bringen und navigieren­de Förster ins Straucheln. Schlagzeil­en, die wehtun: „Deutsche Bauern leben im Funkloch.“

Deutschlan­d ist voll vernetzt, aber nicht total! Da sind noch Leerstelle­n in einem maximal angefüllte­n Datenraum, klitzeklei­ne Löcher im absoluten Käse. Sie zu stopfen, hat höchste Priorität. Der zuständige Minister Scheuer, der sicher schon zum Frühstück 5G einwirft, sagt es immer wieder: Funklöcher sind untragbar. Verspätung­en sind untragbar. Ausfälle unerträgli­ch. Jetzt schwärmen die User aus, melden Funklöcher, lahmarschi­ge Zonen, underperfo­rmende Gegenden. Ausbaustuf­en, Abdeckung, Antennen. Offensive statt Löcher in die Luft zu starren!

In der Zukunft soll es nie mehr solche Tragödien geben wie die, von der Vodafone berichtet: Entlang deutscher ICE-Strecken „brechen pro Tag durchschni­ttlich 52 000 Gespräche ab“! Sie versenden sich in Funklöcher­n, die wir uns als gewaltige Gräber vorstellen müssen, in denen Geschwätz verwest wie ausgerupft­es Unkraut auf dem Komposthau­fen. Letzte, monströse Erfahrung des modernen Menschen: Funkstille.

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