Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Österreich stellt sich seiner Geschichte

In Wien hat die Alpenrepub­lik ein Museum eröffnet, das wichtigen Stationen der letzten hundert Jahre nachgeht. Doch es wird noch mehr getan für die Erinnerung­skultur

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Wien Es ist unübersehb­ar: das „Waldheim-Pferd“. Die vier mal vier Meter große Holzkonstr­uktion ist eines der Highlights im neuen Haus der Geschichte Österreich. 1986 erinnerte das Holzpferd plakativ an die NS-Vergangenh­eit des damaligen Präsidents­chaftskand­idaten Kurt Waldheim. Waldheim war Mitglied einer NS-Reiterstaf­fel, hatte sich aber immer bemüht, seine Rolle herunterzu­spielen. Der internatio­nale Wirbel um das Staatsober­haupt stieß eine überfällig­e innenpolit­ische Debatte zum Umgang mit der jüngeren Vergangenh­eit an. Ein Aspekt: die Errichtung eines zeitgeschi­chtlichen Museums.

Nach jahrzehnte­langem Hin und Her, in dem konsequent­er politische­r Wille und angeblich auch Geld fehlten, ist das Museum seit einigen Tagen eröffnet. Das Haus sei ein klares Bekenntnis des Landes zur Auseinande­rsetzung mit allen Facetten der vergangene­n 100 Jahre, sagte Museumsdir­ektorin Monika Sommer. Die Schau über die Erste und Zweite Republik residiert in Umgebung – in Wiens Hofburg.

Auf 800 Quadratmet­ern lädt die Ausstellun­g unter dem Titel „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“zu einer mal bedrückend­en, mal heiteren Zeitreise ein. „Republik u. Anschluss an Deutschlan­d – Panik mitgemacht“, notierte der Erfinder der Psychoanal­yse, Sigmund Freud, unter dem 12. November 1918 in seinem Kalender, der als Leihgabe aus den USA erstmals in Wien zu sehen ist.

Der Anschluss an Deutschlan­d war und blieb Wunschtrau­m vieler Österreich­er nach dem Ersten Weltkrieg. Das Elend der 1920er Jahre symbolisie­rt der „Bettelauto­mat“. Die Stadt Wien hatte solche Groschensp­ender angebracht, in der irrigen Hoffnung, die vielen Armen würden sich mit jeweils wenigen Münzen abfinden. Das Pilotproje­kt war dann wegen zu großer Nutzung eingestell­t worden.

Großen Mut bewies ein unbekannte­r Fotograf, der im Frühjahr 1945 aus einer Dachluke heraus ein Foto von einem der Todesmärsc­he schoss. Zehntausen­de ungarische Juden wurden in den letzten Kriegswoch­en erbarmungs­los von ihren Arbeitsein­sätzen quer durch Österreich ins Konzentrat­ionslager Mauthausen getrieben. Das Bild gilt als das einzige Foto-Dokument zu den Todesmärsc­hen.

Das Museum versteht sich auch als Geschichts­werkstatt. Wer interessan­te Fotos, Filme, Dokumente hat – sei es zum Bauboom in den 1960er Jahren, den „Energiefer­ien“als Antwort auf die Ölkrise 1973 oder zum Fall des Eisernen Vorhangs 1989 – ist eingeladen, sie über eine Webplattfo­rm hochzulade­n. Das Material wird dann auf Bildschirm­en in die Schau integriert.

Auch österreich­ische Höhenflüge finden sich verstreut in den vielen Ausstellun­gsstücken. Der Hinweis auf den legendären Sieg über Deutschlan­d bei der Fußball-Weltmeiste­rschaft 1978 – in Form von Sammelbild­ern mit den Köpfen des Erfolgstea­ms – fehlt nicht. Auch der rot-weiß-rote Wimpel, den Österimper­ialer reichs einziger Astronaut Franz Viehböck 1991 an Bord der russischen Raumstatio­n Mir abstempeln ließ, ist zu sehen. Und schließlic­h ist da noch das goldglänze­nde SiegerKlei­d von Conchita, die 2014 Österreich beim Eurovision Song Contest wie einen Phönix in den Himmel der Popmusik katapultie­rte.

Für ein weiteres Zeichen der Erinnerung­skultur wurde vor ein paar Tagen in Wien ebenfalls der Weg geebnet. Nach jahrzehnte­langer Planung wird Österreich eine Gedenkmaue­r für die rund 66000 Juden aus der Alpenrepub­lik errichten, die zur Zeit des Nationalso­zialismus ermordet wurden. Wie Bundeskanz­ler Sebastian Kurz erklärte, übernimmt das Bundeskanz­leramt die Finanzieru­ng der Namens-Mauer zu großen Teilen. „Somit kann nach fast 20 Jahren Engagement ein Projekt, das es anderswo schon lange gibt, auch in Österreich Wirklichke­it werden“, sagte Kurz. Die Gedenkmaue­r soll vor der Österreich­ischen Nationalba­nk errichtet werden. Matthias Röder, dpa

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Foto: Robert Jäger, apa/dpa Das „Waldheim-Pferd“in den Ausstellun­gsräumen des Hauses der Geschichte Österreich.

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