Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das Dilemma am Holl-Platz
Wenn sich Anwohner terrorisiert fühlen und nicht mehr frei vor die Türe gehen, ist das untragbar. Die einfache Lösung liegt auf der Hand, sie hat aber große Tücken
Wer aus dem Elias-Holl-Platz auf die Schnelle wieder einen ruhigen Platz machen möchte, muss nicht lange überlegen: Wenn Polizei und Ordnungsdienst dort regelmäßig, massiv und nachdrücklich vor Ort sind, werden die Anwohner sehr bald wieder ruhig schlafen können. Das ist ihnen von Herzen zu wünschen. Was sie beschreiben, ist tatsächlich eine Zumutung. Die Stadt ist ein öffentlicher Raum und sie ist für jeden da. Genau deshalb müssen die Menschen in den Häusern um den Platz am Abend ihre Ruhe haben. Sie dürfen nicht angepöbelt werden und schon gar nicht bedroht. Es kann nicht sein, dass sie aus Angst erst überlegen müssen, wann wer mit wem vor die Tür tritt. Die schnelle Medizin hat ihre Wirksamkeit schon oft bewiesen – aber auch ihre Schwäche trat schon zu oft zutage.
Wenn die Ordnungskräfte einen öffentlichen Platz stärker kontrollieren und dort Präsenz zeigen, löst ihr Erfolg einen Verdrängungseffekt aus: Sorgen sie am Königsplatz für Ruhe, ziehen die Gruppen weiter an den Holl-Platz. Sorgen sie dort für Ruhe, suchen sich die jungen Leute den nächsten Ort. Das Problem wird sich nur verlagern. Es werden andere Anwohner leiden und neue Probleme entstehen. Die Stadt hat schon reagiert und eine Kampagne mit Informationen, Streetworkern und Kontrollen gestartet. Die städtische Bilanz fiel vor einem Monat eher positiv aus – auch für den Holl-Platz. Sie muss sich allerdings fragen lassen, warum die täglichen Erlebnisse der Anwohner so ganz anders sind. Und sie darf nicht locker lassen. Aber wie?
Eine Lösung kann nur zweigleisig erreicht werden: Wer nicht weiß, wie er sich zu benehmen hat, muss es lernen. Am Elias-Holl-Platz geht es in vielen Fällen offenbar nicht um Straftaten. Aber auch störendes Verhalten, Geschrei und Ordnungswidrigkeiten können das Leben anderer Menschen beeinträchtigen. Auf dem abgeschlossenen Areal wirkt der Lärm besonders fatal; unter diesem Gesichtspunkt war wahrscheinlich sogar der offenen und weitläufige Königsplatz ein besserer Treffpunkt. Und das Sicherheitsgefühl der Anwohner leidet. Daher müssen in diesem Fall Polizei und Ordnungsdienst Grenzen setzen. Öffentliche Plätze sind ein lebendiger Teil einer Großstadt. Wer sie aber nutzt, muss sich auch an die Regeln halten. Es ist kein neues Phänomen, dass das nicht alle Menschen beherzigen.
Im Fall des Elias-Holl-Platzes sind es offenbar vor allem junge Migranten, die sich dort treffen. Das muss man so benennen, eignet sich aber nicht für Pauschalurteile. Auch in der Vergangenheit haben sich Jugendliche und junge Erwachsene abends zusammen gefunden, egal ob Migrant, Flüchtling oder nicht. Vor dem Hauptbahnhof trafen sich schon vor Jahren die Punks und selbst auf dem schwäbischen Land gab es vor 30 Jahren schon Ärger, weil sich einheimische Jugendliche nächtelang trafen, tranken und lärmten. Die Nachbarn waren genervt und sauer. Das dient nicht zur Entschuldigung, sondern illustriert, warum eine wirkliche Lösung schwierig zu erreichen sein wird.
Die jungen Leute am Elias-HollPlatz haben vermutlich zunächst auch erst einmal das Ziel, sich zu treffen und nicht das Ziel, Ärger zu machen. Dass man ihnen schnell klar machen muss, in welchem Rahmen das abzulaufen hat, ist keine Frage. Die nächste ist aber: Wie lässt sich verhindern, dass sich am Platz X oder Y gleich der nächste Brennpunkt bildet? Mit den Mitteln von Polizei und Ordnungsdienst alleine wird das nicht gelingen. Insofern war der Ansatz der Stadt richtig, flankierend auf die Streetworker des Stadtjugendrings zu setzen. Es geht nämlich auch darum, ins Gespräch zu kommen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, braucht es aber auch das nötige Personal und Geld. Am Ende wird es auch darum gehen, den jungen Leuten Alternativen zu bieten. Der Wunsch, sich zu treffen, bleibt.
Für solche Vorschläge wird man schnell gescholten. Aber es geht nicht darum, Fehlverhalten zu belohnen. Das Ziel muss sein, dass die Menschen in Ruhe und Sicherheit leben können. Dafür reicht es nicht, auf die schnelle Medizin zu setzen. Dahinter muss ein Plan stehen. Die Anwohner am Holl-Platz brauchen schnell Ruhe. Für die Menschen, die an anderen Plätzen leben, gilt aber das Gleiche.
Die schnelle Medizin schafft neue Probleme