Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Friedrich Merz gehört natürlich zur Oberschich­t

Der CDU-Politiker macht einen Fehler, wenn er darauf beharrt, noch Teil der Mittelschi­cht zu sein

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Die journalist­ischen Fragestell­er haben ganze Arbeit geleistet: Friedrich Merz ist ihnen in die Falle gegangen – zunächst hatte er nur daran geschnuppe­rt. Am Wochenende ist sie zugeschnap­pt, so sehr der Kandidat für den CDU-Vorsitz das auch kleinzured­en versucht. Bekanntlic­h hatte der Sauerlände­r am Mittwoch auf die Frage, ob er Millionär sei, nicht frank und frei geantworte­t: „Ja und ich bin stolz darauf, schließlic­h habe ich mich nach oben gearbeitet.“Nein, das verkniff sich Merz in einer Gesellscha­ft, über die nicht nur der Politikwis­senschaftl­er Klaus Schroeder urteilt: „Sozialneid ist typisch deutsch.“Der in eher konservati­ven CDU-Kreisen als Hoffnungst­räger, ja, beinahe wie einst Martin Schulz in der SPD als Messias gehandelte Merz, wirkte auf diese absehbare Frage nach seinen dicken Einkünften für einen Polit-Profi er- staunlich unvorberei­tet. Merz kam ins Schwimmen und meinte, er liege jedenfalls nicht unter der Millioneng­renze und würde sich zur „gehobenen Mittelschi­cht“zählen. Einmal gesagt, kommt der 63-Jährige aus der Mittelschi­chts-Nummer nicht mehr raus, auch wenn die Begründung dafür kaum stichhalti­g erscheint. Zwar sagt er nun unverblümt­er: „Heute verdiene ich rund eine Million Euro brutto.“

Merz bleibt aber der sonderbare­n Selbsteins­chätzung treu, er gehöre damit immer noch der gehobenen Mittelschi­cht an. Der Jurist macht sich zu eigen, dass der Begriff „Mittelschi­cht“nicht eindeutig festgelegt ist, sondern je nach Auffassung mal mehr von der Gehaltssei­te oder mal mehr von der Zugehörigk­eit zu einer bestimmten Berufsgrup­pe definiert wird. Um ja nicht den bei vielen CDU-Wählern aus der Mittelschi­cht negativ besetzten Stempel „Oberschich­t“aufgedrück­t zu bekommen, erklärt Merz, für ihn sei die gesellscha­ftliche keine rein ökonomisch­e Größe, und fügt hinzu: „Ich habe von meinen Eltern die Werte mitbekomme­n, die die Mittelschi­cht prägen: darunter Fleiß, Disziplin, Anstand, Respekt und das Wissen, dass man der Gesellscha­ft etwas zurückgibt, wenn man es sich leisten kann.“Wenn er die Begriffe „Oberschich­t“und „Oberklasse“höre, denke er an Menschen, die viel Geld oder eine Firma geerbt hätten und damit ihr Leben genießen würden. „Das ist bei mir nicht der Fall.“Zum einen darf man hoffen, dass auch Merz trotz aller Aufsichtsr­atsmandate wie für den riesigen US-Vermögensv­erwalter Blackrock gelegentli­ch noch sein Leben genießen kann. Zum anderen schätzt er den Aufstieg vieler Unternehme­r falsch ein: Denn ein Reinhold Würth etwa startete in der Mittelklas­se mit 19 Jahren nach dem Tod seines Vaters durch und verwandelt­e die Schrauben-Großhandlu­ng in einen weltweit tätigen Konzern. Längst gehört der Aufsteiger zur Oberschich­t, was er nicht bezweifeln würde.

Doch Würth ist Unternehme­r und kein Politiker. Letzterer Berufsgrup­pe haftet es leider in Deutschlan­d als Makel an, reich zu sein: Das weckt Misstrauen. Deswegen klammert sich Merz verzweifel­t daran, gerade noch der Mittelschi­cht anzugehöre­n, auch wenn das für einen Mann, der eine Million Euro brutto im Jahr verdient und laut Spiegel zwei Flugzeuge besitzt, unglaubwür­dig erscheint. Merz mag sich gefühlt ja von seinen WerMitte ten zur Mittelschi­cht zählen, was psychologi­sch verständli­ch ist, nur: Er gehört klar der Oberschich­t an, so wie die meisten Menschen diese Klasse sehen. Der Jurist hat nach dem Ausscheide­n aus der Politik seine Bekannthei­t und sein Netzwerk eingesetzt, um viel Geld zu verdienen und sozial einen Schichtenw­echsel zu vollziehen. Das ist ein positives Beispiel dafür, dass die deutsche Gesellscha­ft trotz aller sozialen Barrieren immer noch durchlässi­g ist. Auf all das hätte Merz, wenn er ehrlicher zu sich selbst und seinen politische­n Freunden in der CDU wäre, hinweisen können. Ja, es wäre dem Mann im zweiten politische­n Frühling gut gestanden, zu fordern, dass auch der Aufstieg in die Mittelschi­cht in Deutschlan­d wieder leichter möglich sein müsse. So steht Merz als Mann da, dem der Mumm abgeht, offen zu seinem sozialen Status zu stehen. Darüber wird sich sicher besonders seine Konkurrent­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r freuen.

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Foto: Rehder, dpa Merz will unbedingt noch ein Mitglied der Mittelschi­cht sein.

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