Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein kosmischer Moment
Ein Redakteur sucht Ruhe, Teil 5
Weil das Leben oft schnell und hektisch ist, möchte unser Medizin-Redakteur Markus Bär, 50, das Meditieren lernen. Er hat in Kaufbeuren einen Kurs belegt. In dieser Kolumne berichtet er über seine Erfahrungen.
Männer sind bekanntlich beschränkte Wesen. Sie sind eindimensional, können sich nur mit einer Sache auf einmal befassen. Alles, was darüber hinausgeht, überfordert sie. Heißt es. Bei Frauen soll das angeblich anders sein. Besser. Sie können offenbar mehrere Dinge auf einmal erledigen. Das finde ich bewundernswert. Ich für meinen Teil habe tatsächlich immer gern die Strategie verfolgt, mich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Eins nach dem anderen. Damit komme ich irgendwie besser zurecht. Das habe ich allerdings gleichzeitig auch als Mangel angesehen. Andere können – passend zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Multitasking. Und ich? Ich natürlich nicht.
Seitdem ich den Meditationskurs belegt habe, geht es mir diesbezüglich wesentlich besser. Jetzt gelten neue Anforderungen. Ich soll achtsam sein, sagt unser Meditationslehrer Thomas Flott, mich ausdrücklich ganz auf eine Sache konzentrieren. Was in der fünften Kurseinheit übrigens in einen völlig neuen mentalen Aggregatzustand führen soll: das offene Gewahrsein.
Und der Weg dahin wird bewältigt mit einem neuen geistigen Verkehrsmittel: die lange Sitzmeditation. Geschult durch beinahe tägliches Meditieren daheim bin ich nun in der Lage, mich viel schneller zu zentrieren. Das Ticken der Uhr, das mich noch in der ersten Kurssitzung wahnsinnig gemacht hat? Ist mir inzwischen völlig egal. Sollten wir Kursteilnehmer uns in den bisherigen Übungen etwa nur auf die Atmung konzentrieren, so gibt es nun neue Regieanweisungen: Zunächst auf die Atmung achten. Dann auch den Körper spüren. Nun sollen wir genau registrieren, was wir hören. Dann die Gedanken, schließlich die Gefühle. Und dann kommt’s dicke: Wir sollen alle die Dinge wahrnehmen – gleichzeitig. Und tatsächlich. Ich fühle: meinen Herzschlag. Höre: die Kinder draußen spielen. Denke: Welche Themen kündige ich morgen in der Redaktionskonferenz an? Denke: Bald Weihnachten, was schenke ich meiner Mutter? Höre: Wie es gluckert in meinem Bauch. Höre: Das Blut, wie es in meinen Ohren saust. Denke: Winterreifen – gut, die sind schon drauf. Denke: Wieso denke ich jetzt ausgerechnet an Winterreifen … Und diese Gemengelage – alles binnen ganz kurzer Zeit! Ganz bewusst. Ganz ruhig. Kaum zu fassen. Es fühlt sich an wie ein kosmischer Moment. Ich fühle mich weit, umfassend, großflächig. Aber nur wenige Sekunden lang. Dann bricht das „offene Gewahrsein“in sich wieder zusammen. Länger ging es fürs erste Mal wohl nicht. Was mich umhaut: Ich habe nur eine Sache gemacht. Ich habe wahrgenommen. Und zugleich vieles gemacht – nämlich fast gleichzeitig viele Dinge wahrgenommen. Klingt paradox. Aber spannend. Ich freue mich auf den nächsten – kosmischen – Moment.