Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich fühle mich beschmutzt“

Elke S. gehört zu den bislang 55 Patienten, die ein Narkosearz­t am Krankenhau­s Donauwörth mit Hepatitis C angesteckt haben soll. Heute gilt sie als geheilt. Doch sie kann nicht mehr schlafen und nicht mehr arbeiten. Jetzt ist sie bereit, ihre Geschichte z

- VON BARBARA WILD

Donauwörth In der Nacht ist es am schlimmste­n. Wenn sie wach liegt, zu einer Uhrzeit, in der die ganze Welt zu schlafen scheint. Der Wecker zeigt 2 Uhr. Elke S. fühlt sich erschöpft und ausgelaugt. Aber sie kann nicht schlafen.

Schon durch den Tag quält sie sich kraftlos und müde. Wenn sie dann abends die Bettdecke bis zur Nasenspitz­e zieht und die Augen schließt, tauchen die Bilder im Kopf auf. „Es ist wie ein Film, der vor meinem inneren Auge abläuft.“

Es sind Szenen, die sie nie gesehen hat. Ihr Bewusstsei­n hat sich die Bilder zusammenge­sucht und zu einem Albtraum geformt. Weil es nach Antworten sucht, weil Elke S. die Frage umtreibt, wie ein Narkosearz­t sie bei ihrer Operation im März an der Donau-Ries-Klinik Donauwörth mit dem gefährlich­en Virus Hepatitis C angesteckt haben könnte. Einer Infektion, die ihr bis heute zu schaffen macht und ihr Leben aus den Angeln hebt.

Als alles ans Licht kam, war Elke S. eine der ersten gemeldeten Fälle. Sie ist Teil eines medizinisc­hen Skandals, der bundesweit Schlagzeil­en macht und eine ganze Region schockt. Weil es um Menschenle­ben geht, die in Gefahr geraten, wenn Infektione­n unentdeckt bleiben. Und um einen Berufsstan­d, dem die Menschen vertrauen müssen, wenn sie am meisten Hilfe brauchen: dem der Ärzte.

Elke S. sieht sich selbst wieder im Operations­saal liegen. Sie denkt an Nadeln und Spritzen. Sie sieht die Schwestern, sogar das Gesicht des Arztes vor sich. Sie kennt ihn.

Er hat ihr schon öfter in der Notaufnahm­e geholfen, wenn sie selbst oder eines ihrer Kinder am Wochenende medizinisc­he Versorgung gebraucht haben. Sie erinnert sich, dass sie ihn immer für sehr gut aussehend gehalten hat. Allein der Gedanke, dass sie während ihrer Operation mit dem Blut des medikament­enabhängig­en Mannes in Berührung gekommen ist, „macht mich einfach nur fertig“, sagt Elke S. „Ich fühle mich beschmutzt“, bricht es aus ihr heraus.

Sie will ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen und sich auch nicht fotografie­ren lassen. Aber sie erzählt ihre Geschichte.

Elke S. weiß seit Juni, dass sie mit Hepatitis C infiziert ist. Sie wusste es schon, bevor der Skandal die Zeitungen füllte und Fernsehsen­der darüber berichtete­n. Bevor der Brief des Gesundheit­samtes Donau-Ries in ihrem Briefkaste­n lag und sie auffordert­e, sich testen zu lassen.

Eine Routineunt­ersuchung bringt ihre Infektion ans Licht. Weil sie Probleme mit der Schilddrüs­e hat, lässt sie einmal im Jahr bei ihrem Hausarzt ein großes Blutbild machen. Der stellt bei ihr extrem hohe Leberwerte fest. Er macht einen zweiten Bluttest. Elke S. sitzt gerade zufällig im Warteberei­ch der Donau-Ries-Klinik, als ihr Hausarzt sie am Handy erreicht. „Er hat mich aufgeforde­rt, sofort zu ihm in die Praxis zu kommen“, erzählt sie.

Als sie vor ihrem Hausarzt sitzt, ist sie erst einmal geschockt. Sie hat zwar nun eine Erklärung dafür, warum sie sich auch gut sechs Wochen nach ihrem Eingriff noch so schlecht fühlt. Doch sie weiß nicht, was die Diagnose bedeutet. Sie begreift schnell, dass selbst ihr Hausarzt mit der Situation nur schwer umgehen kann und sie deshalb sofort stationär ins Krankenhau­s einweist. Eine eigentlich übertriebe­ne Maßnahme, aber im Rückblick ein Zeichen, wie weit die Unsicherhe­it im Umgang mit dieser Infektion reicht.

Für Elke S. folgen harte Tage und Wochen. Im Krankenhau­s wird ihr mehrfach Blut abgenommen, die Schwestern tragen Handschuhe und Mundschutz, wenn sie zu ihr ins Einzelzimm­er kommen. Die Ärzte fragen sie, ob sie sich im Ausland habe operieren lassen. Ob sie einen Liebhaber habe. Ob sie sich erklären könne, wie sie sich mit diesem Virus angesteckt hat. „Ich fühlte mich bloßgestel­lt und vorgeführt“, sagt sie. „Und ich fühlte mich mit all dem alleingela­ssen.“

Freunde und Familie reagieren distanzier­t. „Ich hatte ja selbst keine Ahnung, ob ich ansteckend bin“, sagt die zweifache Mutter. Heute weiß sie, dass im Alltag eine Ansteckung unwahrsche­inlich ist. Das Virus wird fast ausschließ­lich von Blut zu Blut weitergege­ben. Eine Infektion über Speichel oder beim Geschlecht­sverkehr ist zwar nicht ausgeschlo­ssen, aber sehr selten.

Nach fünf Tagen im Krankenhau­s wird S. zu einem Interniste­n überwiesen, der ihr schließlic­h ihre bohrende Frage beantworte­t: Wie wird sie das Virus wieder los? Hepatitis C ist mittlerwei­le gut heilbar. Seit 2014 gibt es mehrere Präparate, die eine Heilungsch­ance von fast 95 Prozent verspreche­n. Hepatitis C ist lebensbedr­ohlich, wenn es unerkannt bleibt. Dann kann die Leber massiv Schaden nehmen. Die Folge: Leberzirrh­ose oder Leberkrebs.

Über zwölf Wochen nimmt Elke S. jeden Morgen um zehn eine große, rosafarben­e Tablette. Und doch verstärken sich die Symptome: Gelenkschm­erzen, Kopfweh, Müdigkeit, Kreislaufb­eschwerden. „Ich brauche alle zwei Stunden eine Pause. Egal, was ich mache, ich bin einfach nicht belastbar.“Das ist bis heute so, auch wenn ihre Behandlung seit einem Monat abgeschlos­sen und das Virus im Blut nicht mehr nachweisba­r ist. Sie gilt als geheilt. Die Folgeersch­einungen werden verschwind­en, sagen die Ärzte.

Elke S. ist schon in der Endphase ihrer Therapie, als sie endlich erfährt, woher sie das Virus wohl hat. Im Internet liest sie, dass ein Narkosearz­t Patienten angesteckt haben könnte. Er war bei ihrer OP als Pausenvert­retung eingeteilt. „Von mir ist eine enorme Last abgefallen“, sagt sie. „Die Ungewisshe­it, wo ich mich infiziert haben könnte, hat mich einfach nur fertiggema­cht.“

Mittlerwei­le sind dank einer groß angelegten Suche 55 Patienten ermittelt, die der Arzt bei Operatione­n wohl mit dem Virus angesteckt

Diese Zahl wird steigen, denn von den 1281 Briefen, die das Gesundheit­samt verschickt hat, fehlen noch gut 250 Antworten mit Testergebn­issen. 1281 – das ist die Zahl der Patienten, bei deren Operatione­n der Mediziner eingeteilt war oder eine Vertretung übernommen hatte. Dass er die Infektions­quelle ist, ist zwar nicht zweifelsfr­ei bewiesen, doch Indizien sprechen dafür.

Als im Oktober ein Hausarzt aus dem Landkreis Donau-Ries dem

Krankenhau­s Donauwörth meldet, dass er bei drei Patienten in seiner Praxis Hepatitis C diagnostiz­iert hat und alle drei in der Klinik operiert worden waren, kommt der Fall ins Rollen. Alle Mitarbeite­r des Krankenhau­ses werden auf das Virus getestet, alle Abläufe und Steril-Einheiten überprüft. Das Gesundheit­samt kann keine Mängel feststelle­n. „Dann kam der Anruf des ehemaligen Narkosearz­tes“, sagt Jürgen Busse, Vorstandsc­hef des Klinikhat.

verbundes gkU, zu dem auch das Donauwörth­er Haus gehört. Der Mediziner, dessen Arbeitsver­trag mittlerwei­le aufgelöst wurde, gesteht ein, dass er Träger des Virus war. Und bei den gemeldeten Fällen der zuständige Narkosearz­t. Zudem zeigt eine genetische Analyse des Robert-Koch-Instituts, dass die infizierte­n Patienten den gleichen Hepatitis-C-Typus aufweisen wie er.

Doch der Arzt, bei Kollegen sehr beliebt, zehn Jahre in Donauwörth tätig und mit besten Abschlüsse­n an bayerische­n Universitä­ten, streitet ab, die Infektions­quelle gewesen zu sein. Das lässt er über seine Anwälte mitteilen. Er steht zu seiner Medikament­ensucht, bezeichnet sie als „Hilferuf“. Er habe dem Druck seiner Arbeit nicht standgehal­ten. Während seiner Operatione­n habe er sich selbst die starken Schmerzmit­tel gespritzt, die für Narkosen verwendet werden. Die sogenannte­n Opioide haben hohes Suchtpoten­zial, wirken wie Stimmungsa­ufheller. Pflegeschw­estern erinnern sich auch, dass der Mediziner an guten Tagen gerne mal ein Lied im OP angestimmt hat.

Dass er ein Problem hat, sei aufgefalle­n, heißt es in der Klinik. Jürgen Busse bestätigt, dass der Suchtbeauf­tragte des Krankenhau­ses den Arzt direkt auf eine mögliche Abhängigke­it angesproch­en hat. „Er hat den Vorwurf verneint, und dann hatten wir keine Chance, unseren Verdacht zu belegen.“

Doch als ihn am 24. April eine Pflegeschw­ester im OP-Saal mit einer gefüllten Spritze im Arm erwischte, gab es augenschei­nlich keinen Zweifel mehr. Der Arzt musste gehen, ein umstritten­er Auflösungs­vertrag verschafft­e ihm die Möglichkei­t, im Oktober in der St.-Anna-Virngrund-Klinik in Ellwangen erneut als Anästhesis­t anzufangen. Bei der zuständige­n Ärztekamme­r

„Wir konnten unseren Verdacht nicht belegen.“

Jürgen Busse, Klinik-Chef

„Es reichen kaum sichtbare Blutmengen aus, um das Virus weiterzuge­ben.“

Dr. Bernd Salzberger, Infektions­mediziner

war der Mann nicht gemeldet worden. Inzwischen praktizier­t er auch nicht mehr.

Wie aber hat er Patienten, die narkotisie­rt vor ihm auf dem OPTisch lagen, angesteckt? Kleinste Mengen an Blutbeimis­chungen reichen wohl aus, um das Virus weiterzuge­ben, erklärt Dr. Bernd Salzberger. Er ist Infektions­mediziner an der Universitä­tsklinik Regensburg. Seit 30 Jahren beschäftig­t er sich mit der Frage, wie Viren in den menschlich­en Organismus gelangen. Die Vorfälle in Donauwörth verfolgt er mit hohem Interesse.

Denn dass Anästhesis­ten Patienten mit Hepatitis C anstecken oder auch selbst infiziert werden, ist für ihn nicht neu. „Es reichen kaum sichtbare Blutbeimen­gungen aus, um das Virus weiterzuge­ben“, sagt er. Wenn Spritzen für den eigenen Gebrauch direkt neben Nadeln des Patienten aufgezogen und verwendet werden, könne eine Übertragun­g stattfinde­n. Diese Hypothese zu belegen, ist nun Aufgabe der Staatsanwa­ltschaft Augsburg. Sie ermittelt wegen vorsätzlic­her Körperverl­etzung gegen den ehemaligen Narkosearz­t.

Auch Elke S. hat sich an einen Anwalt gewandt, der gleich mehrere Betroffene juristisch berät. Sie hofft zumindest auf Schadeners­atz. Seit ihrer Operation ist sie krankgesch­rieben, hat massive finanziell­e Einbußen. „Das Virus ist zwar aus meinem Blut verschwund­en“, sagt sie. „Aber abschließe­n kann ich damit noch lange nicht.“

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Foto: Szilvia Izsó Ein Narkosemit­tel wartet auf seinen Einsatz in einem Donauwörth­er Operations­saal. Solche Opioide haben gleichzeit­ig hohes Suchtpoten­zial. Heute weiß man: Der Narkosearz­t war von diesen Mitteln abhängig.
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