Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bayerns Brexit-Plan
Ende März will Großbritannien aus der EU austreten. Ein geordneter Brexit rückt aktuell aber in immer weitere Ferne. Nun sorgen Unternehmen für den Ernstfall vor
Augsburg Lange Zeit hatte Reinhold Braun noch Hoffnung. Hoffnung, dass die Briten sich auf einen geordneten Brexit einigen. Dass Ende März, wenn der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU offiziell wird, auch Verträge über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen unterzeichnet sind. Braun ist Geschäftsführer von Sortimo. Das Unternehmen aus Zusmarshausen im Landkreis Augsburg stellt Fahrzeugeinrichtungen für Handwerker und Industrie-Unternehmen her. Der anstehende Brexit trifft den Betrieb besonders hart, denn Sortimo hat eine Tochterfirma im nordenglischen Warrington.
In den vergangenen Tagen ist Brauns Hoffnung immer weiter geschwunden. Der von der britischen Premierministerin Theresa May festgezurrte Brexit-Deal steht nach dem Rücktritt mehrerer Minister auf der Kippe. Ob das Parlament in London dem Ausstiegsvertrag zustimmt, ist nicht abzusehen. Der Zeitplan für einen geordneten Ausstieg wird damit immer knapper – und letztlich zu knapp, glaubt Braun. „Wir stellen uns auf einen harten Brexit ein.“
Bei Sortimo hat man in den vergangenen Monaten verschiedene Szenarien durchgespielt. Das Ergebnis der Kalkulation: Im Frühjahr sollen große Warenbestände nach England verlegt werden. Normalerweise werden Zubehör und Teile nicht vor Ort gelagert, sondern pünktlich zur Verarbeitung von Transportunternehmern in das Werk geliefert. Das spart Lagerplatz und somit Kosten. LogistikExperten sprechen von der „Justin-time-Lieferung“. Bisher wisse aber niemand, wie die Warenströme nach dem Brexit funktionieren, sagt Geschäftsführer Braun. Wenn tatsächlich wieder Zollkontrollen ein- werden, drohen an der Grenze lange Lastwagen-Staus – und damit die Gefahr, dass die Ladung nicht rechtzeitig ankommt. Verzögert sich die Lieferung, droht ein teurer Produktionsstopp.
Auch andere Unternehmen sorgen deshalb bereits für den Ernstfall vor. So haben die Beschäftigten des zu BMW gehörenden Mini-Werks im britischen Oxford im Frühjahr vier Wochen Ferien – allerdings nicht ganz freiwillig. Weil niemand absehen kann, wie leicht oder schwer es nach Ablauf dieser Frist wird, Bauteile nach Großbritannien zu liefern, soll die Produktion erst einmal ruhen, berichtet eine Sprecherin des Münchner Autobauers. In den rund vier Wochen finden dann die ohnehin jährlich im Werk anstehenden Wartungsarbeiten statt. Trotzdem appelliert BMW weiterhin „an alle Beteiligten, auf eine finale Einigung hinzuarbeiten, die den reibungslosen Handel aufrechterhält“.
Wie BMW haben sich zuletzt viele große Industriekonzerne ausdrücklich hinter den Brexit-Deal von Theresa May gestellt. Denn in Deutschland und ganz besonders auch in Bayern kann man auf die guten Wirtschaftsbeziehungen zum Vereinigten Königreich nicht verzichten. Etwa 2500 deutsche Unternehmen sind auf der Insel tätig, viele weitere liefern ihre Waren nach Großbritannien. Allein in Schwaben haben nach Angaben der Industrieund Handelskammer 500 Firmen enge Beziehungen zur britischen Wirtschaft. Bayerische Unternehmen exportierten im Jahr 2017 Wageführt ren im Wert von fast 14 Milliarden Euro auf die Insel. Vor allem deutsche Autos sind im Vereinigten Königreich beliebt. Jeder dritte dort zugelassene Wagen ist ein deutsches Modell. Für die Autoindustrie ist das Land einer der größten Exportmärkte. Besonders BMW kann in Großbritannien gute Geschäfte vorweisen, etwa zehn Prozent des weltweiten Umsatzes werden jenseits des Ärmelkanals gemacht.
Die große Unsicherheit vor dem Brexit spiegelt sich allerdings auch in der deutschen Exportstatistik wider. Während die Unternehmen 2015 – dem Jahr vor dem AustrittsVotum – noch Waren im Wert von rund 89 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich verkauft haben, fiel diese Bilanz im vergangenen Jahr bereits um fünf Milliarden Euro geringer aus. Im Freistaat sinkt das Handelsvolumen seit dem Brexit-Votum ebenfalls kontinuierlich ab. 2016 war das Vereinigte Königreich noch der fünftwichtigste Handelspartner der bayerischen Wirtschaft, mittlerweile ist das Land auf Rang 7 abgerutscht. Auch in den ersten acht Monaten dieses Jahres ist das Volumen deutlich zurückgegangen: Die Ausfuhren nach Großbritannien lagen um 6,5 Prozent unter dem Vorjahreswert – gleichzeitig sind die bayerischen Gesamt-Exporte in diesem Zeitraum deutlich gewachsen.
Reinhold Braun, der Geschäftsführer von Sortimo, überlegt bereits, wie sein Unternehmen auf lange Sicht mit den neuen Bedingungen umgehen soll. Ein Abschied aus dem britischen Markt kommt für ihn nicht infrage. „Wir überlegen eher, in die gegenteilige Richtung zu gehen“, sagt er. Sollten die Zoll-Bürokratie und ein schwankender Wechselkurs die Lieferung deutlich teurer machen, sei es nicht ausgeschlossen, dass Sortimo vor Ort in England eine Fertigung aufbaut.