Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Vom Recht darauf, anders zu sein
Cornelia Punke hilft Eltern, die ein Kind mit Autismus haben. Über ein Familienleben mit großen Herausforderungen
Neusäß Er war ein Wunschkind. Doch der kleine Linus war noch keine drei Monate alt, da merkte seine Mutter, dass irgendetwas nicht normal war mit ihrem Sohn. Immer wenn er im Kinderwagen lag, fing er nach exakt 45 Minuten an, „wie am Spieß zu schreien. Ich konnte die Uhr danach stellen“, sagt Cornelia Punke aus Neusäß. Jahre mit oft belastenden Erfahrungen und Erziehungssituationen folgten, bis bei Linus schließlich das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde, eine Form des Autismus. Heute wissen seine Eltern Cornelia und Marcel Punke, warum sich ihr Sohn so „anders“ verhält und sie verstehen, mit dem Syndrom umzugehen. Die Ursache von Autismus werde nach wie vor erforscht, man vermute einen Gendefekt, wisse aber noch nichts Genaues, so Cornelia Punke.
Vor wenigen Wochen hat Cornelia Punke auf Anregung und mit Unterstützung des Bunten Kreises Augsburg eine Selbsthilfegruppe für Eltern mit sprechenden Autisten und ADHS-Kindern gegründet, um Eltern Hilfestellungen zu geben. Die Gruppe, etwa 15 Betroffene, hat sich mittlerweile schon zweimal zum Erfahrungsaustausch getroffen.
Cornelia Punke, von Beruf Kinderpflegerin, hat sich intensiv mit der Krankheit ihres Kindes auseinandergesetzt. Sie bildete sich an der Akademie Schönbrunn in Markt Indersdorf über Autismus weiter. Jetzt darf sie sich „Fachkraft für Autismus“nennen, kann Eltern beraten, beim Beantragen von Pflegestufen oder Schwerbehindertenausweis helfen. Die Zielgruppe der Selbsthilfegruppe habe sie bewusst eingeschränkt, erklärt die 35-Jährige: So wende sie sich an Eltern von „sprechenden Autisten“, weil sie selbst keine Erfahrung mit nicht sprechenden Autisten, die es auch gibt, habe. Die Aufmerksamkeitsdefizit-Störung ADHS habe sie eingeschlossen, weil viele autistische Kinder zuerst ADHS diagnostiziert bekämen und dann erst Autismus. Oft zeigten sich bei Autisten allerdings gleichzeitig ADHS-Symptome.
In der Selbsthilfegruppe – man trifft sich am Ziegelhof, dem Therapiezentrum des Bunten Kreises in Stadtbergen – gehe es locker zu. Im kommenden Jahr will Cornelia Punke auch Unternehmungen mit autistischen Kindern anbieten, eine Eselwanderung mit den Kleineren, einen Kegelnachmittag in einem privaten Raum mit den Größeren.
Denn autistische Kinder tun sich schwer, ihre vorhandenen Interessen in normaler Umgebung zu pfle- gen, Veranstaltungen zu besuchen. Es ist zu stressig für sie: Zu viele Menschen, zu viele Geräusche, zu viele Eindrücke, zu viele Reize auf einmal, zu viel Unerwartetes, erklärt Cornelia Punke einige der Situationen, die Autisten nicht bewältigen können.
Ihr Sohn, der eine Grundschule in Neusäß besucht, zeigte selbst viele typische Verhaltensweisen von Autisten, noch ehe seine Eltern sein Benehmen mit „Autismus“erklären konnten. Er machte etwa stereotyp immer das Gleiche nach denselben Mustern, reihte immer wieder von Neuem kleine Autos in derselben Reihenfolge aneinander, war unerwartet und augenscheinlich unbegründet aggressiv im Kindergarten, konnte sich nicht sozial integrieren– die Situation spitzte sich zunehmend zu.
Seine Tagesmutter wusste mit ihm aber umzugehen. Durch ihre Kollegin im Hort, wo Cornelia Punke arbeitete, wurde Linus´ Mutter auf Autismus aufmerksam gemacht und beantragte am Behandlungszentrum für Autismus und Entwicklungsstörungen am Josefinum Augsburg eine Diagnostik für ihren Sohn. Nach der Diagnose wandte sich die junge Frau an den Bunten Kreis und erhielt dort für Linus Ergotherapie und tiergestützte Therapie, vom Dominikus-Ringeisenwerk wiederum Sozialkompetenztraining für den Buben; um Linus nachmittags betreuen zu können, hörte Cornelia Punke auf, im Hort zu arbeiten. Jetzt ist sie Schulbegleiterin für ein autistisches Mädchen.
Ein Leben mit einem autistischen Kind: Das belastet die Eltern oft bis zur Erschöpfung, ist meist auch für deren Beziehung zueinander eine große Herausforderung. Erfahrungen, die auch Cornelia Punke und ihr Mann gemacht haben, erklärt sie offen. Doch es sind Krisen, die das Paar, das schon 18 Jahre zusammen ist, mit therapeutischer Hilfe überwinden konnte.
Cornelia und Marcel Punke haben akzeptiert, dass ihr Sohn so ist, wie er ist: „Er hat das Recht, anders zu sein“, sagt Cornelia Punke. Bemerkungen von Außenstehenden, denen ihr Kind auffällt, wie „dem müsste man mal den Hintern versohlen“, sind ihr geläufig, und sie hat inzwischen auch die passende Antwort parat: „Mein Kind ist schwerbehindert, und wie ist es mit ihrem?“
Er hat das Recht, anders zu sein.“