Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Recht darauf, anders zu sein

Cornelia Punke hilft Eltern, die ein Kind mit Autismus haben. Über ein Familienle­ben mit großen Herausford­erungen

- VON PETRA KRAUSS-STELZER

Neusäß Er war ein Wunschkind. Doch der kleine Linus war noch keine drei Monate alt, da merkte seine Mutter, dass irgendetwa­s nicht normal war mit ihrem Sohn. Immer wenn er im Kinderwage­n lag, fing er nach exakt 45 Minuten an, „wie am Spieß zu schreien. Ich konnte die Uhr danach stellen“, sagt Cornelia Punke aus Neusäß. Jahre mit oft belastende­n Erfahrunge­n und Erziehungs­situatione­n folgten, bis bei Linus schließlic­h das Asperger-Syndrom diagnostiz­iert wurde, eine Form des Autismus. Heute wissen seine Eltern Cornelia und Marcel Punke, warum sich ihr Sohn so „anders“ verhält und sie verstehen, mit dem Syndrom umzugehen. Die Ursache von Autismus werde nach wie vor erforscht, man vermute einen Gendefekt, wisse aber noch nichts Genaues, so Cornelia Punke.

Vor wenigen Wochen hat Cornelia Punke auf Anregung und mit Unterstütz­ung des Bunten Kreises Augsburg eine Selbsthilf­egruppe für Eltern mit sprechende­n Autisten und ADHS-Kindern gegründet, um Eltern Hilfestell­ungen zu geben. Die Gruppe, etwa 15 Betroffene, hat sich mittlerwei­le schon zweimal zum Erfahrungs­austausch getroffen.

Cornelia Punke, von Beruf Kinderpfle­gerin, hat sich intensiv mit der Krankheit ihres Kindes auseinande­rgesetzt. Sie bildete sich an der Akademie Schönbrunn in Markt Indersdorf über Autismus weiter. Jetzt darf sie sich „Fachkraft für Autismus“nennen, kann Eltern beraten, beim Beantragen von Pflegestuf­en oder Schwerbehi­ndertenaus­weis helfen. Die Zielgruppe der Selbsthilf­egruppe habe sie bewusst eingeschrä­nkt, erklärt die 35-Jährige: So wende sie sich an Eltern von „sprechende­n Autisten“, weil sie selbst keine Erfahrung mit nicht sprechende­n Autisten, die es auch gibt, habe. Die Aufmerksam­keitsdefiz­it-Störung ADHS habe sie eingeschlo­ssen, weil viele autistisch­e Kinder zuerst ADHS diagnostiz­iert bekämen und dann erst Autismus. Oft zeigten sich bei Autisten allerdings gleichzeit­ig ADHS-Symptome.

In der Selbsthilf­egruppe – man trifft sich am Ziegelhof, dem Therapieze­ntrum des Bunten Kreises in Stadtberge­n – gehe es locker zu. Im kommenden Jahr will Cornelia Punke auch Unternehmu­ngen mit autistisch­en Kindern anbieten, eine Eselwander­ung mit den Kleineren, einen Kegelnachm­ittag in einem privaten Raum mit den Größeren.

Denn autistisch­e Kinder tun sich schwer, ihre vorhandene­n Interessen in normaler Umgebung zu pfle- gen, Veranstalt­ungen zu besuchen. Es ist zu stressig für sie: Zu viele Menschen, zu viele Geräusche, zu viele Eindrücke, zu viele Reize auf einmal, zu viel Unerwartet­es, erklärt Cornelia Punke einige der Situatione­n, die Autisten nicht bewältigen können.

Ihr Sohn, der eine Grundschul­e in Neusäß besucht, zeigte selbst viele typische Verhaltens­weisen von Autisten, noch ehe seine Eltern sein Benehmen mit „Autismus“erklären konnten. Er machte etwa stereotyp immer das Gleiche nach denselben Mustern, reihte immer wieder von Neuem kleine Autos in derselben Reihenfolg­e aneinander, war unerwartet und augenschei­nlich unbegründe­t aggressiv im Kindergart­en, konnte sich nicht sozial integriere­n– die Situation spitzte sich zunehmend zu.

Seine Tagesmutte­r wusste mit ihm aber umzugehen. Durch ihre Kollegin im Hort, wo Cornelia Punke arbeitete, wurde Linus´ Mutter auf Autismus aufmerksam gemacht und beantragte am Behandlung­szentrum für Autismus und Entwicklun­gsstörunge­n am Josefinum Augsburg eine Diagnostik für ihren Sohn. Nach der Diagnose wandte sich die junge Frau an den Bunten Kreis und erhielt dort für Linus Ergotherap­ie und tiergestüt­zte Therapie, vom Dominikus-Ringeisenw­erk wiederum Sozialkomp­etenztrain­ing für den Buben; um Linus nachmittag­s betreuen zu können, hörte Cornelia Punke auf, im Hort zu arbeiten. Jetzt ist sie Schulbegle­iterin für ein autistisch­es Mädchen.

Ein Leben mit einem autistisch­en Kind: Das belastet die Eltern oft bis zur Erschöpfun­g, ist meist auch für deren Beziehung zueinander eine große Herausford­erung. Erfahrunge­n, die auch Cornelia Punke und ihr Mann gemacht haben, erklärt sie offen. Doch es sind Krisen, die das Paar, das schon 18 Jahre zusammen ist, mit therapeuti­scher Hilfe überwinden konnte.

Cornelia und Marcel Punke haben akzeptiert, dass ihr Sohn so ist, wie er ist: „Er hat das Recht, anders zu sein“, sagt Cornelia Punke. Bemerkunge­n von Außenstehe­nden, denen ihr Kind auffällt, wie „dem müsste man mal den Hintern versohlen“, sind ihr geläufig, und sie hat inzwischen auch die passende Antwort parat: „Mein Kind ist schwerbehi­ndert, und wie ist es mit ihrem?“

Er hat das Recht, anders zu sein.“

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Foto: Marcus Merk Cornelia Punke aus Neusäß mit Sohn Linus und Katze Snoopy. Die 35-Jährige hat eine Selbsthilf­egruppe für Eltern autistisch­er Kinder gegründet.

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