Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Er kehrt seinem Knast den Rücken

Ganz Deutschlan­d kennt Joe Bausch als Rechtsmedi­ziner aus dem Kölner „Tatort“. Dabei ist er seit Jahrzehnte­n Gefängnisa­rzt in der JVA Werl. Ende November geht er in Pension

- VON DANIEL WIRSCHING

Werl Von seinem Küchenfens­ter aus blickt Joe Bausch auf mehr als sechs Meter hohe Mauern. Dahinter die Gebäude der Justizvoll­zugsanstal­t Werl bei Dortmund – Bauschs Arbeitspla­tz. „Mein Knast“, sagt er. Ende des Monats geht Deutschlan­ds bekanntest­er Gefängnisa­rzt nach 32 Jahren in Pension.

Wobei: Bekannt ist Hermann Joseph Bausch-Hölterhoff nicht so sehr als Gefängnisa­rzt, schon gar nicht als der Leitende Regierungs­medizinald­irektor, der er qua Amt ist. Bausch ist für die meisten dieser Rechtsmedi­ziner aus dem Kölner „Tatort“. Seit der 1997 gedrehten Folge „Manila“gehört er zum Ensemble des Kult-Krimis. Als Dr. Joseph Roth. Wenn sonntags mal wieder eine Folge im Fernsehen läuft, sprechen ihn selbst Insassen in Werl montags darauf an.

Bausch kennt jeden Winkel der Justizvoll­zugsanstal­t; sie ist eine der größten Deutschlan­ds. Er führt gerne durch seinen Knast, alle paar Meter muss er eine Türe auf- und hinter sich absperren. 14 Türen sind es vom Gefängnise­ingang bis zu seinem Büro im „Gesundheit­szentrum“. Sein täglicher Weg zur Arbeit. Seine Patienten sind Kinderschä­nder, Vergewalti­ger, Mörder.

Kommt er an Insassen vorbei, grüßen sie ihn. Es ist auch schon vorgekomme­n, dass sie ihn um Autogramme für ihre Mütter gebeten haben. Zugleich wurde er beschimpft, angezeigt, bedroht. Einmal klingelte es an seiner Haustür: Ein Beerdigung­sinstitut wollte seine sterbliche­n Überreste abholen. Vermutlich der Racheakt eines Insassen. „Ich hasse es, wenn man versucht, mir Angst zu machen“, sagt Bausch. Aber er lasse sich nicht einschücht­ern. Und er sagt: Das Böse sei banal, ganz anders als im „Tatort“. „Menschen werden wegen 30 Euro umgebracht oder weil einer schlechte Laune hatte.“

In seinem Büro steckt er sich eine „American Spirit“nach der anderen an und erklärt durch den Rauch hindurch, wie ein Gefängnis sein müsse – keine Verwahrans­talt, sondern ein Ort, der Resozialis­ierung ermögliche. Es ist ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Ende der 80er Jahre stieß er einen Wandel in der Anstaltsme­dizin mit an: Von einer autoritäre­n Knastmediz­in hin zu einer ordentlich­en Medizin im humanen Strafvollz­ug, sagt er. „Ich bin zwar der Anstaltsar­zt, aber ich habe das immer so gehalten, als wäre das meine Praxis.“Fragen zum „Tatort“beantworte­t der 65-Jährige, Vater einer Tochter, dagegen eher routiniert.

Was er jetzt machen wolle, ohne seinen Knast? Zumindest wird er kein typischer Pensionär sein. Bausch hat erst kürzlich wieder ein Buch veröffentl­icht, „Gangster- blues: Harte Geschichte­n“. Wenn er zu Lesungen eingeladen ist, fährt er dafür auch stundenlan­g quer durch Deutschlan­d. Kein Problem. Bausch wird weiter vor der Kamera stehen, auf Ärztekongr­essen sprechen. Die Pensionier­ung sei eine Art schleichen­de Entwöhnung für ihn: „Ich muss nicht mehr drei Dinge nebeneinan­der her machen, sondern nur noch zwei“, sagt er.

Bausch wollte ursprüngli­ch zum Theater, er, der „Bauernbub aus dem Westerwald“. Geboren in Ellar, Gemeinde Waldbrunn, Landkreis Limburg-Weilburg. Anfang der 80er Jahre – da studierte er bereits Medizin – war er eines der Gesichter des „Theaterpat­hologische­n Instituts“, einer Gruppe, die mit freizügige­n Stücken im Ruhrgebiet für Furore sorgte. Er schwärmt heute noch davon. Sein Engagement für das Theaterpro­jekt hätte ihn dabei fast die Anstellung im Strafvollz­ug gekostet: Der Chef des Justizkran­kenhauses habe damals davon abgeraten, ihn einzustell­en, erzählt Bausch: „Zu nah an der Klientel.“

Die Faszinatio­n, die schwierige Patienten auf ihn ausüben, überwog schließlic­h den Wunsch, in Theaterode­r Filmrollen zu spielen. Später gelingt es ihm, beides miteinande­r zu verbinden, und man fragt sich, woher er immer die Zeit dafür nahm. „Es gibt einen Weg, den nur du gehen kannst! Frage nicht, wohin er dich führt, gehe ihn!“, sagte er mal in einem Interview.

 ?? Foto: Bernd Thissen, dpa ?? Gefängnisa­rzt und Schauspiel­er Joe Bausch vor seinem Arbeitspla­tz, der Justizvoll­zugsanstal­t Werl bei Dortmund. Er wohnt gleich wenige Meter nebenan.
Foto: Bernd Thissen, dpa Gefängnisa­rzt und Schauspiel­er Joe Bausch vor seinem Arbeitspla­tz, der Justizvoll­zugsanstal­t Werl bei Dortmund. Er wohnt gleich wenige Meter nebenan.

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