Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wer waren die Lehman Brothers?
Kapitalistische Albträume in Neusäß
Lehman Brothers – Bank und Name stehen seit 2008 für die große Finanzkrise, sind zum Inbegriff von Veruntreuung, Gier, Vertrauensverlust geworden, killten das ohnehin wacklige Image von Tradern und Finanzmarkt-Spekulanten. Wer eigentlich stand hinter dem einst „allmächtigen“US-amerikanischen Investmentbank-Imperium? Der italienische Autor Stefano Massini, Jahrgang 1975, hat jahrelang intensiv recherchiert, um die Menschen hinter dem „Label“für die Bühne neu und mit ausreichender Prise Distanz und Humor zu (er)finden.
Über drei Generationen reicht die faszinierende Aufstiegs- und Fallgeschichte der cleveren und geschäftstüchtigen jüdischen Brüder Henry, Emanuel und Mayer Lehman, die er in sein eindringliches Theaterepos mit nahezu archaischer Sprachgewalt gepackt hat. Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten sie aus Rimpar in Bayern nach Montgomery in Alabama aus, um Tuchwaren zu verkaufen… Doch es kommt anders, bis im Jahr 1969 mit dem Tod des letzten Sprösslings Bobby die Ära im Ausverkauf der Bank endet.
Wie nebenbei profitieren die Zuschauer von den in kluger Dosis beigefügten Lektionen in Wirtschaftsund Geschichtswissen, reiben sich die Augen angesichts der genial verbalisierten Zusammenhänge von zyklischen Welt-Katastrophen und den Mechanismen eines zynischen Marktes. Jede Menge Stoff also, aus dem die kapitalistischen Albträume waren und noch sind (Erfindung der Blue Jeans, Sezession, Abenteuer Eisenbahn, Verfilmung von King Kong, Geburt der Wall Street, die „Computers“), die auch in der Tourneeproduktion aus dem bewährten Hause „a.gon“sehr kurzweilig und überzeugend verkauft wurden.
Dies war neben der einfallsreichen Regie von Johannes Pfeiffer insbesondere auch dem flugs und flexibel, mit Humor und Verve in die stets wechselnden knapp 30 Rollen, Kostüme, Bärte, Charaktere und Situationen springenden, exzellenten Ensemble – Oliver Severin, Paul Kaiser, Konstantin Gerlach, Wolfgang Mondon, Sebastian Gerasch und ganz wesentlich der ungemein präsenten Nikola Norgauer – zu verdanken! Kein Wunder also, dass die theatralischen „Lehman Brothers“seit der Erstaufführung im Jahr 2015 ihr Publikum im Sturm erobern und Massini für seinen lakonisch-epischen Theaterstil nicht zuletzt als „moderner Brecht“etikettiert wird.
Fazit: Ein toller, intensiv beklatschter Abend und die wärmste Empfehlung für ein Theater-Abo in Neusäß, wo großes Gespür für professionelle Gastspiele gezeigt wird.