Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn Kokou tanzt

Exotisches Reiseziel: Voodoo und Kolonialer­be in westafrika­nischen Togo

- VON GABRIELE DEROUICHE

„Ein herrlicher Tag. Heute früh war ich im Gottesdien­st“, sagt Cosme. Seine Augen leuchten. Die Messe hat ihm offensicht­lich gutgetan. Ein sonniger Sonntagmor­gen in Lomé, der Hauptstadt Togos, eine ehemalige deutsche Kolonie an der Westküste Afrikas. Wie jede Woche drängen sich die Gläubigen in der Kathedrale Sacré Coeur. Ihre beschwingt­en Choräle schallen durch das neugotisch­e Gotteshaus. Eine strenge Predigt mahnt zu Disziplin und Mäßigung. Vergebens! Noch am selben Tag ist grenzenlos­e Entfesselu­ng das höchste Gebot, stampfen erdbeschmi­erte Voodoo-Priester dumpfe Gesänge in den Boden, wischt Kriegsgott Kokou die christlich­e Dreifaltig­keit sinnbildli­ch vom Altar. Cosme wird dabei sein und andächtig den VoodooKult erklären.

Kokou schenkt Tapferkeit und Stärke sowie Furor im Kampf gegen feindliche Stämme. Kokou ist der allmächtig­e Kriegsgott der Ewe, die zusammen mit den Kabiyé zu den Hauptstämm­en Togos zählen. Im Alltag hilft Kokou gegen Neider, Nebenbuhle­r und besonders gegen böse Geister. In Sanguéra, am Rande der Zweimillio­nenstadt Lomé, rufen die Dorfältest­en den Gott heute mit einer Voodoo-Zeremonie an. Vor den Gästen schüttet ein betagter Priester aus einer Kalebasse einen stark riechenden, milchigen Trunk in die rotbraune Erde. Als das Gemisch aus Maismehl, Wasser und Palmschnap­s versickert ist, dürfen die Fremden nähertrete­n. Schon ist ein junger Priester in Trance gefallen, wirbelt in seinem geweihten Strohrock rastlos umher, rennt hierhin, dorthin, immer wieder in eine heilige Hütte, um Kraft für seine spirituell­e Sendung zu tanken.

Auf die schüchtern­e Frage, ob man die sakrale Zeremonie fotografie­ren dürfe, stimmen die Gläubigen freudig zu. Deutsche seien immer willkommen. Manche bedauern, dass sie 1914 gehen mussten. „Sonst würde es uns heute besser gehen“, erklärt der Oberpriest­er.

Ein wahres Spektakel

Inzwischen sind viele Dorfbewohn­er auf den rituellen Platz unter den Kapokbäume­n geströmt. Bunt gekleidete Frauen und Männer fallen rhythmisch tanzend ein. Dazwischen der Vortänzer, mit seinen rasenden Drehungen ein Sendbote des wütenden Gottes. Immer wieder macht er halt, ritzt sich mit Steinen blutig, reibt gelbe und rote Erde auf Kopf und Gesicht. Seine Augen sind glasig, in Trance, in der Welt des Kokou und der Ahnen, zu denen er jetzt Zugang haben soll. Auch Cosme, 60, ein gebildeter Togoer, der in Lomé Deutsch studiert hat, ist Voodoosi – gläubiger Anhänger des Kults. Wenn Krankheit ein Fluch und Unglück eine Verwünschu­ng bedeuten kann, wirkt Nüchternhe­it oft therapeuti­sch. Vielleicht erklärt dies, warum die Togoer noch heute den 1884 geschlosse­nen Schutzvert­rag zwischen Generalkon­sul Gustav Nachtigal und König Mlapa in Lomé mit einem Denkmal ehren. Moderne Geschichts­bücher hingegen berichten von einer Kolonialze­it voller Zwang und Unterdrück­ung.

Heute sind in dem schmalen Land an der Bucht von Benin viele deutsche Hilfsorgan­isationen aktiv, Besucher aus der Bundesrepu­blik werden mit besonderer Herzlichke­it empfangen. Die mehr und weniger gut erhaltene Kolonialar­chitektur ist über das ganze Land verteilt. Davon ist die spektakulä­rste Ruine die kaiserlich­e Funkstatio­n bei Atakpamé, 150 Kilometer nördlich von Lomé. Vor dem Einrücken der Franzosen 1914 hatte man die Anlage gesprengt. Übrig geblieben ist ein unwirklich­es Areal technische­r Skelette, ein surrealer Skulpturen­park.

Weiter geht es auf der einzigen Überlandst­raße Richtung Norden nach Kara. In Zentral, der mittleren von fünf Regionen, rauscht die fruchtbare, grüne Landschaft langsam vorbei. Alte Baobabs und Kapokstämm­e ragen wie vorzeitlic­he Totems in den weiten blauen Himmel. Auf den Feldern Bäuerinnen und Bauern. Mango und Papaya, Zitrone und Mandarine, Avocado und Ananas, Spinat und Rüben - keine tropische Frucht, kein Gemüse, das in Togo nicht wachsen würde. Es ist früher Morgen in Kara, dem Land der Steinbauer­n, beim Stamm der Kabiyé. Cosme führt seine Gäste zu Kao, dem Schmied von Kétao, rund 400 Kilometer nördlich von Lomé. Kein Hammer, kein Amboss. Aus alten Autofelgen werden Hakus, Schaufeln für die Landwirtsc­haft. Während sich junge Männer in den Internetca­fés das Märchen vom glitzernde­n Metropolen­leben erzählen, schleppen ihre Mütter und Schwestern Wasser und Früchte in die kleinen Dorfhütten.

Ein seltsamer Anblick

Zurück in Lomé. Am Rande der Stadt bauen Händler aus Benin, der Wiege des Voodoo, gerade ihre Stände für den Fetischmar­kt auf. Voodooprie­ster kommen von weither, um hier geeignete Devotional­ien zu finden. Für Europäer ist der Markt ein gern besuchtes Horrorkabi­nett. Über den staubigen, heißen Platz weht ein süßlicher Verwesungs­duft. Affenschäd­el, tote Singvögel, Fledermäus­e und Schlangen stapeln sich zu einer schaurigen Auslage. Geier und ausgestopf­te Leoparden sind wie Trophäen hineindrap­iert.

Wer sich hier umschaut, sollte Ideen von Arten- und Tierschutz im Hotel lassen. Doch die Händler nehmen alles sehr locker. Einer schenkt den Gästen einen „Telefonfet­isch“, ein witziges Minihölzch­en mit Hörer und Gabel. „Vor der Abreise einen guten Wunsch in die kleine Öffnung flüstern, mit dem Holzstopfe­n verschließ­en – dann guten Flug“, empfiehlt er.

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Foto: Gabriele Derouiche, tmn Aufregende Voodoo-Zeremonie im togolesisc­hen Sanguéra: Ein Priester tanzt in seinem geweihten Strohrock rastlos umher.
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