Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sauberkeit wird überbewert­et

Haben Textil-, Lebensmitt­el- und Waschmitte­lindustrie einen Pakt abgeschlos­sen?

- VON TANJA WURSTER

Suberkeit wird völlig überbewert­et. Meine aktuelle Lieblingsf­arbe ist Orange. Flohmärkte finde ich einfach nur toll und ein ordentlich­es Zuhause wird völlig überbewert­et. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal so denken werde. Aber der Reihe nach…

Mein Sohn bekommt jetzt Brei. Zum Glück isst er meist mit großem Appetit, er hat eine Vorliebe für Karotte, Kürbis und Süßkartoff­eln und beim Obst findet er Äp- ganz toll. Die Gesundheit­sapostelin in jubelt, die Sauberkeit­sfanatiker­in weint. Nie hätte ich gedacht, wie viel Dreck man mit einer so kleinen Menge an Essen machen kann… Im Sommer fütterte ich ihn oftmals nackt, jetzt muss neben überdimens­ionalen Lätzchen fleckunemp­findliche Kleidung herhalten. Orange hat da definitiv seine Vorteile.

Allmählich beschleich­t mich der Verdacht, dass es einen Pakt gibt zwischen der Textil-, der Lebensmitt­elund der Waschmitte­lin- Meine Theorie: Erstere bringt bevorzugt Babykleidu­ng in Weiß oder anderen hellen Farben auf den Markt. Die Eltern jubeln: das Kind schaut darin so engelsglei­ch, ja, unschuldig darin aus und greifen zu. Sämtliche Babynahrun­gsmittelhe­rsteller verkaufen primär Gemüsesort­en, die auch die beste Hausfrau nicht ohne Weiteres aus der Kleidung rausbekomm­t – oder warum gibt es so wenig Aubergine im Gläschen, dagegen Karotte ohne Ende? Und schlussend­lich kommt die Waschmitte­lindusfel trie mit all ihren tollen Mittelchen zum Einsatz.

Da mache ich nicht mit! Ich habe mir andere Strategien zurechtgel­egt. Denn seit ich Mutter bin, haben sich meine Maßstäbe von sauber, gründlich und rein verschoben. Egal – sage ich mir – ein Kind soll eh nicht zu steril aufwachsen; das begünstigt nur das Entstehen von Allergien. Auch saubere Kleidung wird überbewert­et. Wenn der Fleck nicht rausgeht, kommt das Teil weg.

Und damit die sparsame Schwädustr­ie. bin in mir nicht die Krise bekommt, hilft nur der Gang zum Flohmarkt. Ich staune jedes Mal, wie viel Kleidung ich dort für wenig Geld bekomme. Und manchmal finde ich sogar etwas Orangenes. Ab und an muss man sich einfach selbst überlisten.

Tanja Wurster (34) ist freie Mitarbeite­rin der Landboten-Redaktion und lebt mit ihrer Familie in Augsburg.

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