Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Ukraine zu schwächen, bleibt Putins Ziel

Der Konflikt ist nach der Attacke an der Meerenge vor der Krim zurück auf der Weltbühne. Warum die Kiewer Reaktion auf die Moskauer Provokatio­n unüberlegt ist

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger-allgemeine.de

Nach internatio­nalem Recht ist die Angelegenh­eit klar: Die von den Russen annektiert­e Krim gehört völkerrech­tlich nach wie vor zur Ukraine. Daraus folgt, dass Moskau keinerlei Befugnis hat, Schiffe, die auf der zur Krim gehörenden Seite der Meerenge unterwegs sind, zu kontrollie­ren. Das Festsetzen von Booten der ukrainisch­en Mini-Marine und die Verhaftung der Mannschaft grenzt an Kaperei. Die russische Attacke wird noch absurder, wenn man weiß, dass ein bilaterale­r Vertrag zwischen Russland und der Ukraine aus dem Jahr 2003 den freien Zugang für beide Seiten ins Asowsche Meer garantiert. Fazit: Von einer Provokatio­n Kiews kann in diesem Fall keine Rede sein, der Provokateu­r sitzt in Moskau und heißt Wladimir Putin.

Weitgehend unbemerkt von der Weltöffent­lichkeit wurden in den letzten Monaten immer wieder Schiffe von russischen Behörden und der Marine unrechtmäß­ig schikanier­t und die Durchfahrt zu den wirtschaft­lich äußerst wichtigen ukrainisch­en Häfen verzögert.

Aber wie immer in diesem Dauerkonfl­ikt gerät der Beobachter bei genauerer Betrachtun­g schnell an den Punkt, an dem Schwarz und Weiß zu schmutzige­n Grautönen verschwimm­en.

Da stellt sich zunächst einmal die Frage, warum der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o auf den Zwischenfa­ll zur See mit der Verhängung des Kriegsrech­ts reagiert hat. Das ist auch deswegen nur schwer verständli­ch, da er auf diesen Schritt nach weit dramatisch­eren militärisc­hen Auseinande­rsetzungen in dem unerklärte­n Krieg mit vielen Toten und Verletzten verzichtet hat.

Warum also jetzt? Natürlich liegt nahe, dass Poroschenk­o das Kriegsrech­t als Waffe gegen seine Gegner im eigenen Land nutzen will. Im März 2019 stehen Präsidents­chaftswahl­en an, bei denen der Amtsinhabe­r – nach aktuellem Stand – nur geringe Chancen hat. Auf diesen Zusammenha­ng hat Moskau sofort hingewiese­n.

Poroschenk­o hat in der Tat unüberlegt gehandelt. Doch es gibt Indizien dafür, dass der Präsident nicht in erster Linie daran gedacht hat, seine politische­n Widersache­r auszumanöv­rieren. Schließlic­h machte der Präsident im Parlament wichtige Zugeständn­isse. Denn in Kiew gibt es – anders als in Moskau – tatsächlic­h eine schlagkräf­tige Opposition, die vor der Abstimmung über das Kriegsrech­t einschneid­ende Beschränku­ngen durchsetzt­e. Der Ausnahmezu­stand soll bereits nach 30 statt nach 60 Tagen enden. So könnte der Wahlkampf um das wichtigste Amt im Staate ungestört beginnen. Gleichzeit­ig sicherte Poroschenk­o zu, die rechtliche­n Einschränk­ungen, die das Kriegsrech­t vorsieht, nur im Falle einer russischen Invasion durchzuset­zen. An diesen Worten wird man ihn messen müssen.

Vielmehr dürfte Poroschenk­o hoffen, dass der Westen seine Solidaritä­t mit der Ukraine, die zu schwinden drohte, bekräftigt. Davon ist sein Land abhängig. Die verbale Schützenhi­lfe der EU, der USA und der Nato kam zügig – sie wurde jedoch zum Teil auffällig lustlos vorgetrage­n. Zu tief wiegt die Enttäuschu­ng darüber, dass die Regierung in Kiew der allgegenwä­rtigen Korruption nicht Herr wird und sich im Konflikt mit Russland immer wieder selber nicht an internatio­nale Regeln hält.

Dennoch ist es richtig, dass der Westen auf den erneuten Versuch, die Ukraine zu destabilis­ieren, unmissvers­tändlich antwortet. Sollte der Kreml weiterhin im Eskalation­smodus bleiben, dürfen neue Sanktionen gegen Russland kein Tabu sein. Putin muss wissen: Wer die Macht des Stärkeren ohne Rücksicht auf internatio­nales Recht durchsetzt, der hat die Konsequenz­en zu tragen.

Die Opposition in Kiew setzt dem Präsidente­n Grenzen

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