Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie ich den Defibrilla­tor lieben lernte

Implantate sind immer etwas Fremdes im Körper. Sie können verschleiß­en und versagen. Doch sie können auch zuverlässi­g Leben retten. Ganz persönlich­e Erfahrunge­n mit einem flimmernde­n Herzen

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Warum haben die Notärzte einen Ringmagnet­en im Gepäck? Um einen wild gewordenen implantier­ten Cardiovert­er Defibrilla­tor, kurz ICD, auszuschal­ten. Oft brauchen die Ärzte den Magneten aber nicht. Eher können sie in ihren Einsätzen feststelle­n, dass ein rechtzeiti­g abgegebene­r Elektrosch­ock wieder einmal ein Leben gerettet hat. Weil er ein flimmernde­s Herz wieder zu einem normalen Schlag verholfen hat. Ich kann da mitreden, denn ich habe es selbst nicht nur einmal am eigenen Leib erlebt. In mehr als zehn Jahren sind wir, mein Defi und ich, Freunde geworden.

Implantate haben derzeit keine gute Presse. Sie gelten als fehlerhaft und verschleiß­anfällig, quasi als das schlummern­de Ungeheuer im Leib. Stimmt ja auch irgendwie. Es sind Maschinen, mechanisch­e und elektrisch­e. Und die gehen im Gebrauch irgendwann kaputt. Auch wenn sie als zuverlässi­g ausgeteste­t worden sind. Beim Defibrilla­tor kommt dazu: Er braucht einen Akku, der mit der Zeit an Spannung verliert.

Je nachdem, wie oft das Gerät Schocks abgibt, kann das kürzer oder länger dauern. Bei mir war der Defi nach zwei großen Herzereign­issen nach nicht einmal drei Jahren geleert. Mein Kardiologe gibt als reguläre Lebensdaue­r eines ICD bis zu sieben Jahre an. Seither kenne ich den kläglichen Signalton („düüda düüda“) aus dem Inneren des Brustkorbs. Hört man ihn zum ersten Mal überrasche­nd loslegen, mutet dieser Ton ziemlich unheimlich an und kann den ahnungslos­en ICD-Träger durchaus in Panik versetzen. „Machen Sie sich keine Sorgen, ein paar Wochen hält er schon noch durch“, beruhigte mich damals der Arzt. Und tauschte das wimmernde Aggregat doch recht bald aus.

Wie ist es denn, wenn der Defi einen elektrisch­en Schock abgibt? Immer wieder fragen Freunde mit besorgter Neugier danach. Man kann es aushalten. Im besten Fall fühlt sich die „Therapieab­gabe“, wie es freundlich verbrämt im Ärztejargo­n heißt, wie ein Schlag am elektrisch­en Weidezaun an. Er kann aber auch schneidend wie ein Kurzschlus­s aus der Steckdose wirken – vor allem, wenn man nicht damit rechnet. Normalerwe­ise spürt man kurz vor der Auslösung, wie sich der Kondensato­r mit einem leisen Summen auflädt. Außerdem ist einem in der Herzgegend mulmig zumute.

Doch ich habe auch anderes schon erlebt. An einem Sonntag am Computer hat der Defi mit seinen 700 Millivolt wie ein Blitz aus heiterem Himmel zugeschlag­en und bald darauf in einem anderen Zimmer noch einmal. Ich wusste sofort: Hier lag kein organische­s Versagen vor. Irgendetwa­s musste mit dem Gerät nicht in Ordnung sein. Was ich noch nicht wusste: Auch bei mir wurde 2007 die besonders dünne Sonde namens „Sprint Fidelis“als Leitung vom Defibrilla­tor unterm Schlüsselb­ein zum inneren Herzmuskel verbaut. In Ungarn wurde die Sonde zuvor getestet. Offensicht­lich nicht gut genug, denn massenhaft kam es bei „Sprint Fidelis“nach einigen Jahren im Einsatz zum Sondenbruc­h – und damit zu fehlerhaft­en, „inadäquate­n“Therapieab­gaben.

Der altgedient­e Münchner Reporterko­llege Dagobert Lindlau war eines der prominente­sten Opfer von Sprint Fidelis. Aber auch der interviewf­reudige CDU-Politiker Wolfgang Bosbach bekam seinerzeit einen Schlag in der Brust „wie von einem Boxer“ab. Und mich legten sie im Augsburger Klinikum, weil Sonntag war, einige Stunden in der Notaufnahm­e ab, bis endlich nach weiteren grundlosen Auslösern der Ringmagnet erlösend zum Einsatz kam. Viel später erst erfuhr ich vom Skandal um die Sonde „Sprint Fidelis“– aus der Presse. Ärzte und Medizintec­hniker schwiegen betreten.

Trotzdem lernte ich meinen Defi lieben. Das erste Mal rettete er mich beim Joggen an einem nebligen Tag vor dem plötzliche­n Herztod. Tachykardi­e nennen die Kardiologe­n die spontane Beschleuni­gung der Pulsfreque­nz, bis das Herz nur mehr zittert, aber nicht mehr pumpt. Hält der rasende Stillstand länger an, erleiden Gehirn und Körper irreparabl­e Schäden. Ganz unterschie­dliche kardiologi­sche Notsituati­onen habe ich seitdem durchgesta­nden – vom elektrisch­en Sturm bis zum Infarkt. Und immer hat mich der Defi zuverlässi­g therapiert.

Bei schweren Herzanfäll­en trat bald eine Ohnmacht ein, sodass die Elektrosch­ocks mein Bewusstsei­n nicht erreichten. Erst später auf der Intensivst­ation klärte mich das ellenlange Auslesepro­tokoll auf, wie viel Arbeit das Implantat geleistet hatte. Denn er schlägt nicht nur zu, sondern dokumentie­rt auch haarklein, wie es dazu kam. So verrät der ICD auch seine stillen Hilfeleist­ungen, wenn er etwa eine bedenklich­e Frequenzän­derung mit korrigiere­nden elektrisch­en Signalen überlagert. „Sagen Sie: Wenn du mir hilfst, darfst du bei mir wohnen“, riet mir 2007 eine Seelsorger­in.

Wolfgang Bosbach spürte einen Schlag wie vom Boxer

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Foto: Imago Er ruht im Körper und ist direkt ins Herz verkabelt: der Defibrilla­tor.

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