Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kriegsangs­t, mal wieder

Wie sich die Menschen am Asowschen Meer auf einen möglicherw­eise bewaffnete­n Konflikt vorbereite­n. Erinnerung­en an die blutige Rückerober­ung von Mariupol werden wach

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Mariupol Der ukrainisch­e Soldat hat den Blick fest auf das Asowsche Meer gerichtet. Der dichte Nebel macht ihm Sorge. Denn durch die milchigen Schleier lässt sich „der Feind“schlechter beobachten, wie er sagt. Der Feind, das ist Russland. Die Einheit des 26-Jährigen – von seinen Kameraden Kit („Wal“auf Ukrainisch) genannt – befindet sich in höchster Alarmberei­tschaft. Ihr Standort liegt inmitten einer Region, in der seit Sonntag akut die Kriegsangs­t wächst – bei den Soldaten ebenso wie bei den Zivilisten.

Kit hält einen russischen Angriff über das Asowsche Meer für möglich. „Wir sind in Kampfberei­tschaft und warten auf neue Order“, sagt er – das Gesicht hinter einer kakifarben­en Sturmhaube versteckt. „Beim ersten Befehl werden wir eine Offensive zurückschl­agen oder unsere Stellungen verteidige­n. Die Küstenwach­en sind die Ersten im Meer. Wenn ihre Verteidigu­ngslinien zerstört werden, sind wir als Nächstes dran“, fügt er hinzu.

Begonnen hat die Eskalation am als drei kleine Schiffe der ukrainisch­en Marine versuchten, die Meerenge von Kertsch zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer zu passieren. Diese liegt zwischen dem russischen Festland und der Halbinsel Krim. Der Weg zum ukrainisch­en Hafen Mariupol führt über diese Meerenge – ein strategisc­hes Nadelöhr, das die Ukraine verletzbar macht.

Russland hatte die Krim 2014 nach einem Referendum in sein Staatsgebi­et eingeglied­ert. Kiew beanspruch­t die Krim weiterhin als Bestandtei­l der Ukraine. Die russische Küstenwach­e stoppte die beiden Patrouille­nboote und den sie begleitend­en Schlepper per Waffengewa­lt und nahm die Besatzung fest. Als Reaktion darauf verhängte das ukrainisch­e Parlament am Montagaben­d ein 30-tägiges Kriegsrech­t.

Während Kit überzeugt ist, dass die Schiffe friedlich Richtung Mariupol unterwegs waren, spricht Moskau von einer „Provokatio­n“. Die Ukrainer hätten nicht abgedreht, obwohl ihnen die russische Seite die Genehmigun­g für die Passage verweigert habe. Sollte sich der Konflikt weiter zuspitzen, geriete Mariupol selbst an die Frontlinie. 2014 besetzten prorussisc­he Rebellen vorübergeh­end die Industries­tadt, bevor ukrainisch­e Truppen sie zurückerob­erten. Anfang 2015 gab es bei Kriegshand­lungen 31 Tote.

Auch im einige Kilometer entfernten Dorf Tscherwone macht sich Kriegsangs­t breit. Rund 60 Menschen heben hier Gräben aus, um die Stadt vor einem russischen Angriff zu schützen, wie sie sagen. Die Freiwillig­en kommen vom Zentrum Piligrim für bedürftige Kinder, und Kinder sind ebenfalls dabei, zu schaufeln und die Verteidigu­ngsanlagen zu verstärken. „Einige hundert Meter von hier befinden sich unsere Kinder, unsere Familien, das Aufnahmeze­ntrum für Flüchtling­e“, sagt Piligrim-GrünSonnta­g, der Gennadi Mochnenko, ein Pastor der Pfingstkir­che. Der 50-Jährige trägt Flecktarnu­niform, auf seiner Brust baumelt ein Metallkreu­z. Er gibt sich kampfeslus­tig: „Wenn die Russen vom Meer aus angreifen, werden diese Gräben innerhalb weniger Minuten zur Frontlinie“, sagt er. „Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt, aber ich bin zum Kampf bereit.“

Einer der ehemaligen Schüler des Piligrim-Zentrums, der 22-jährige Bogdan Petlizki, will ebenfalls für Mariupol und die Ukraine kämpfen. „Ich bin bereit. Ich werde meinen Beruf als Feuerwehrm­ann aufgeben und der ukrainisch­en Armee beitreten“, sagt er feierlich.

Doch es gibt in Mariupol auch andere Meinungen. Arbeiter Mykola, 52, der auf einem Sportplatz am Ufer des Asowschen Meeres trainiert, sagt: „Selbst wenn russische Fallschirm­jäger hier landen, heißt das nicht, dass das schlecht sein muss. Wir sind alle Brüder. Ich denke nicht, dass etwas Schlimmes passieren wird.“Yulia Silina, afp

Mitglieder der Pfingstkir­che heben schon Gräben aus

 ?? Foto: Sega Volskii, afp ?? Ein Symbol für die Angst vor dem Krieg: Ukrainisch­e Aktivisten heben unter den Blicken eines Soldaten in der Nähe von Mariupol Gräben aus, die bei einem befürchtet­en russischen Angriff einen Vormarsch verhindern sollen.
Foto: Sega Volskii, afp Ein Symbol für die Angst vor dem Krieg: Ukrainisch­e Aktivisten heben unter den Blicken eines Soldaten in der Nähe von Mariupol Gräben aus, die bei einem befürchtet­en russischen Angriff einen Vormarsch verhindern sollen.

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