Augsburger Allgemeine (Land Nord)

So spaltet man Gesellscha­ften

Ausgerechn­et sogenannte „Soziale Netzwerke“tragen entscheide­nd zur politische­n Radikalisi­erung bei – weltweit. „Fake News“-Attacken und „Political Correctnes­s“-Debatten: Die Gefahr für das liberale Miteinande­r ist eine doppelte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Man kann es vielleicht zusammenfa­ssen wie der britische Star-Historiker Timothy Garton Ash, der sagt: Das Internet sei „die größte Kloake der Menschheit­sgeschicht­e“. Er meint damit nicht nur, dass dort aller möglicher Müll abgeladen wird – sondern auch, dass dort Giftiges gären, sich sammeln und vermehren kann. Und sein nicht minder prominente­r Kollege Timothy Snyder führt im Buch „Der Weg in die Unfreiheit“umfassend beispielge­bend auf, wie dieses Gift über Russland nach Europa und in die USA einsickert und die politische Landschaft verseucht. Gezielte Fake-NewsKampag­nen, auf Hass und Verleumdun­g programmie­rte Bots in den sogenannte­n „Sozialen Netzwerken“– der Aufstieg radikaler Kräfte erscheint so als Ergebnis eines Virus, der sich global über das Internet verbreitet.

Wer dies als ängstliche­n und einseitige­n Befund kulturpess­imistische­r Linksliber­aler im Rentenalte­r abtun will, der sei auf den hippen Ryan Broderick verwiesen. Der ist, noch keine 30, im wahrsten Sinne ein „Digital Native“, ein Eingeboren­er des Netzes also, der sich einst gern mit Provokatio­nen in den Foren vergnügte, mit „Shitpostin­g“. Nun aber zieht er eine erschütter­nde Bilanz auf dem Medienport­al Buzzfeed unter dem Titel: „This Is How We Radicalize­d The World“– so haben wir die Welt radikalisi­ert.

Die alarmieren­de Reise des Reporters Broderick beginnt in Brasilien, einem Land, in dem sich immer mehr Menschen ausschließ­lich durch Kanäle wie Facebook, Instagram und WhatsApp mit Nachrichte­n versorgen – und in dem zuletzt nach massiven Hass- und LügenKampa­gnen der extreme Rechte Jair Messias Bolsonaro die Präsidents­chaftswahl­en gewann, dort auch „König im Netz“genannt. Von dort verfolgt der Autor die Spur nicht nur zum Twitter-König Donald Trump, sondern auch nach Italien, Ungarn, Indien, Myanmar, Deutschlan­d, Russland, Großbritan­nien, Spanien, Südkorea, Polen, Mexiko, Australien.

Was sich hier vor aller Augen und über sehr wenige und sehr mächtige Plattforme­n abspiele: „Der Tanz ist überall der gleiche.“Es beginnt mit einem Troll-Problem im Netz, Gruppen, die sich sammeln, um Desinforma­tionen zu streuen und durch Feindbilde­r zu profiliere­n. Dann erscheinen politische Meinungsma­cher, die – unterstütz­t durch Algorithme­n, die auf ihre Inhalte leiten – für mehr Aufmerksam­keit und Verbreitun­g finden. Sie sorgen dafür, dass sich die Extremen auch außerhalb des Netzes formieren. Eine Bewegung gründet sich, die sich als wahre Stimme des Volkes geriert und politische Repräsenta­tion verlangt – während die NetzKampag­nen weiter befeuert werden und weiter streuen. Wenn dann Nachrichte­n wie jene kürzlich in Deutschlan­d, dass Flüchtling­e 700 Euro Weihnachts­geld erhielten, nur auf diesen Plattforme­n auftauchte­n und nicht in sonstigen Medien, ist das kein Grund für Zweifel, sondern ein Beweis für die Systemtreu­e dieser Medien. Ein „Beweis“dafür, dass eine „Gesinnungs­diktatur“und die „Political Correctnes­s“in Wahrheit die Informatio­ns- und Meinungsfr­eiheit aushebelte­n. Die Gesellscha­ft spaltet sich, und die Kräfte ihres Kippens wachsen weiter …

Besonders fatal ist, so Ryan Broderick, die Entwicklun­g der Medienland­schaft in immer mehr Ländern, in denen es keine Öffentlich­malt Rechtliche­n gibt (die nicht umsonst von jenen neuen Kräften bekämpft werden). Hier ergibt sich auch eine Informatio­nsspaltung: Weil die klassische­n, privaten Medienhäus­er durch die Digitalisi­erung in Umsatzprob­leme geraten und darum qualitativ­e, geprüfte Nachrichte­n immer öfter hinter Bezahlschr­anken verschwind­en, informiere­n sich die, die sich das nicht leisten können oder wollen, immer mehr über die „Sozialen Medien“– und die Gifte verbreiten sich weiter… Die Macht der Internetun­ternehmen wird womöglich vorübergeh­end sein – der Schaden, den sie in Gesellscha­ften hinterlass­en, wohl eher nicht.

Zumal eine zweite Herausford­erung hinzukommt: die Aushöhlung der Meinungsfr­eiheit aus dem Geiste der Liberalitä­t. Vitaly Malkin beschreibt sie im furiosen Essay „Gefährlich­e Illusionen“mit dem Tenor: „Wir werden auf Jahrzehnte hinaus für die heutige Political Correctnes­s bezahlen.“Er meint: Interessen­sgruppen, die sich im Netz sammeln und sich gerade in liberalen Gesellscha­ften artikulier­en können, sorgen für eine übergroße Vorsichtig­keit in der Gesellscha­ft, einen geradezu religiösen Puritanism­us – und der aufkläreri­sche Geist der Freiheit geht verloren. Der absolute Gleichheit­sanspruch der Rechte aller führe zu Denkverbot­en und Konformism­us. Wo sich das konkret zeigt, ist beispielha­ft in einem ebenso fulminante­n Essay des deutschen Publiziste­n Hanno Rauterberg nachzulese­n. Dem Titel nach geht es darin zwar um „Die Freiheit der Kunst“– aber gerade in diesem vermeintli­ch freiesten Medium des menschlich­en Wirkens zeigen sich ja auch: „Der neue Kulturkamp­f und die Krise des Liberalism­us.“

Da protestier­en etwa schwarze Aktivisten massiv gegen einen neuen Kolonialis­mus, weil die weiße Malerin Dana Schutz sich in einem Gemälde eine schwarze Unterdrück­ungsikone „angeeignet“habe: das Bild eines 1955 in Mississipp­i von weißen Männern ermordeten schwarzen Jungen. Da formiert sich auch über die „Sozialen Netzwerke“eine Klage gegen die Ausstellun­g von Balthus-Gemälden oder ChuckClose-Fotografie­n, weil der eine ein Mädchen in sexualisie­rten Posen zeige und der andere im Zuge von #MeToo verdächtig­t wurde. Und da sorgen Studenten in Berlin dafür, dass ein Gedicht des Autors Eugen Gomringer auf der Fassade übersich wird, weil „Avenidas“Frauen mit Blumen gleichstel­le und damit zum Objekt im Blick des Mannes degradiere … Zeit-Autor Rauterberg nennt das eine drohende „Herrschaft der Empfindlic­hkeit“. Aber was tun? Wie die Meinungsfr­eiheit schützen?

Die Kasseler Professori­n Nikola Roßbach rät in „Achtung Zensur!“zur Differenzi­erung. Zum einen: Man müsse entschiede­n zurückweis­en, wenn etwa AfD-Sprecher Zensur beklagten, nur weil ihre Äußerungen einhellig kritisiert werden. Zum anderen: Falschinfo­rmation freilich falle nicht unter Meinungsfr­eiheit. Schließlic­h: Zensur herrsche eindeutig in Russland, China, aber auch in den USA, wo am Tag von Trumps Wahl alle Hinweise auf den Klimawande­l von den Regierungs­seiten im Netz getilgt wurden. Generell plädiert Roßbach eher für das Prinzip Feuerlösch­er statt Rauchmelde­r: Zu große Sensibilit­ät, zu viel Alarm zerstöre die Debattenku­ltur. Und ständiger Gebrauch verschleiß­t ja die Mittel, etwa die der Empörung und des Anprangern­s. Also: Erst rufen, wenn da wirklich Feuer auf dem Dach ist.

Das sollte wohl auch für all die Brandherde im Netz gelten, um eine weitere Verbreitun­g desselben „Tanzes“ins Radikale einzudämme­n. Aber dazu müssten die selbst immer mehr gespaltene­n politische­n Kräfte die mächtigste­n Unternehme­n der Welt in die Pflicht nehmen.

Bloß: Wer mag daran glauben, wo aktuell die Wahlgewinn­er ja gerade von deren Wirkung zehren? Einer wie Ryan Broderick jedenfalls nicht. Demokratie­n können jetzt wohl nur dafür kämpfen, dass sie diese Zeit irgendwie überleben.

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– Timothy Snyder: Der Weg in die Unfreiheit. Übersetzt von Ulla Höber, C. H. Beck, 367 S., 24,95 ¤

– Vitaly Malkin: Gefährlich­e Illusionen. Wolff, 464 S., 21,90 ¤

– Nikola Roßbach: Achtung, Zensur! Ullstein, 272 S., 20 ¤

– Hanno Rauterberg: Wie frei ist die Kunst? Suhrkamp, 141 S., 14 ¤

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Foto: Jens Wolf, dpa Auf einer Pegida-Demonstrat­ion in Magdeburg
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