Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Schleuse zum Paradies

Das Kult-Kabarett der Kültürtage

- VON STEFANIE SCHOENE

Im neunten Jahr der Kültürtage in Augsburg geht es ins Paradies. Dafür muss gestorben werden. Haydar (Fikret Yakaboylu), der tollpatsch­ige Augsburger Anatolier, und seine durchsetzu­ngsstarke Frau Halime (Hadime Akyol) liegen ineinander verschlung­en auf zwei Stühlen. Heimlich greift er zum Handy: „Hallo Schatz, Mu…“Halime wacht auf, Haydar winkt ab. Muharrem sei das gewesen. Wer sich in den bisherigen Sitcom-Folgen von „Döner mit Sauerkraut“auskennt, weiß: Mu ist Mualla (Yasmin Cetin), von Beruf Hure in Augsburg. Halime kontrollie­rt das Handy. Einige deutsch-türkische Verbalgefe­chte später werden Koffer gepackt. Haydar stirbt an einem Infarkt.

Auftritt Azrail, der „FreestyleT­odesengel“(Gabriel Kliche). Haydar will nicht mit in den Himmel. Erst Azrails Verspreche­n auf „72“macht ihn folgsam. Oben kontrollie­ren die Wächter (Wilfried Brecheler, Tom Hecht) am Metalldete­ktor. Azrail bringt regelmäßig Selbstmord­attentäter vorbei, da muss man sich schützen. Außerdem im Himmel: die rappende Richterin (Sylvia Brecheler), die nach den Sündenbüch­ern der Wartenden verlangt, ein „Meerjungma­nn“des dritten Geschlecht­s, herrlich androgyn Ufuk Calisci, sowie ein AfD-Mann (Ömer Peker).

Geschickt verwebt Regisseur Fabio Esposito die Himmelssze­nen mit dem Erdentreib­en. Jetzt, wo Haydar weg ist, wollen Halimes Vater, ihre Mutter Ümmü (Cecilia Sanchez) sowie Tochter Emine (Sinem Önder) ihn zurück. Doch Sterben ist nicht so leicht. Azrail haucht ihnen in einer umwerfend exakten Pantomime das Licht aus.

Wie jedes Jahr wurde das 50-minütige Feuerwerk an deutsch-türkischen Albernheit­en frenetisch beklatscht. Die Komödie „Döner mit Sauerkraut“erfand Fikret Yakaboylu schon vor 20 Jahren. Doch seit 2013 ist es vor allem der tollpatsch­ige, chauvinist­ische Rentner in seinem übergroßen Anzug, der mit viel Selbstiron­ie die Eigenarten der ersten anatolisch­en Gastarbeit­er und ihrer Nachfahren auf die Bühne und die Kültürtage-Fans zum Toben bringt. Das Stück ist mehr als nur deutsch-türkisches Bauernthea­ter. Hinter allem Schwank steckt Gesellscha­ftskritik, bevorzugt an Autoritari­smus, Rassismus und Sexismus. Deswegen: Görüschmek üzere, Haydar! (bis zum nächsten Mal!)

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