Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Schleuse zum Paradies
Das Kult-Kabarett der Kültürtage
Im neunten Jahr der Kültürtage in Augsburg geht es ins Paradies. Dafür muss gestorben werden. Haydar (Fikret Yakaboylu), der tollpatschige Augsburger Anatolier, und seine durchsetzungsstarke Frau Halime (Hadime Akyol) liegen ineinander verschlungen auf zwei Stühlen. Heimlich greift er zum Handy: „Hallo Schatz, Mu…“Halime wacht auf, Haydar winkt ab. Muharrem sei das gewesen. Wer sich in den bisherigen Sitcom-Folgen von „Döner mit Sauerkraut“auskennt, weiß: Mu ist Mualla (Yasmin Cetin), von Beruf Hure in Augsburg. Halime kontrolliert das Handy. Einige deutsch-türkische Verbalgefechte später werden Koffer gepackt. Haydar stirbt an einem Infarkt.
Auftritt Azrail, der „FreestyleTodesengel“(Gabriel Kliche). Haydar will nicht mit in den Himmel. Erst Azrails Versprechen auf „72“macht ihn folgsam. Oben kontrollieren die Wächter (Wilfried Brecheler, Tom Hecht) am Metalldetektor. Azrail bringt regelmäßig Selbstmordattentäter vorbei, da muss man sich schützen. Außerdem im Himmel: die rappende Richterin (Sylvia Brecheler), die nach den Sündenbüchern der Wartenden verlangt, ein „Meerjungmann“des dritten Geschlechts, herrlich androgyn Ufuk Calisci, sowie ein AfD-Mann (Ömer Peker).
Geschickt verwebt Regisseur Fabio Esposito die Himmelsszenen mit dem Erdentreiben. Jetzt, wo Haydar weg ist, wollen Halimes Vater, ihre Mutter Ümmü (Cecilia Sanchez) sowie Tochter Emine (Sinem Önder) ihn zurück. Doch Sterben ist nicht so leicht. Azrail haucht ihnen in einer umwerfend exakten Pantomime das Licht aus.
Wie jedes Jahr wurde das 50-minütige Feuerwerk an deutsch-türkischen Albernheiten frenetisch beklatscht. Die Komödie „Döner mit Sauerkraut“erfand Fikret Yakaboylu schon vor 20 Jahren. Doch seit 2013 ist es vor allem der tollpatschige, chauvinistische Rentner in seinem übergroßen Anzug, der mit viel Selbstironie die Eigenarten der ersten anatolischen Gastarbeiter und ihrer Nachfahren auf die Bühne und die Kültürtage-Fans zum Toben bringt. Das Stück ist mehr als nur deutsch-türkisches Bauerntheater. Hinter allem Schwank steckt Gesellschaftskritik, bevorzugt an Autoritarismus, Rassismus und Sexismus. Deswegen: Görüschmek üzere, Haydar! (bis zum nächsten Mal!)