Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Idee vom sauberen Sport ist nicht mehr als eine Illusion

Wenn der Betrug Teil des Systems wird: Einer populären Disziplin wie dem Biathlon schaden auch Dopingskan­dale nicht. Blenden wir das Offensicht­liche aus?

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Russland hat sich den Ruf als Dopingnati­on Nummer eins hart erarbeitet. Die Olympische­n Winterspie­le 2014 in Sotschi nutzten die Gastgeber zu einem staatlich orchestrie­rten Betrug gigantisch­en Ausmaßes. Bis heute setzt Russland auf die Strategie des Abstreiten­s, Leugnens und Vertuschen­s. Es sieht sich als Opfer einer westlichen Verschwöru­ng.

Das ist natürlich Unfug. Doch zu glauben, russische Sportler seien die einzigen, die zu unerlaubte­n Mitteln greifen, ist mindestens genauso dumm. Vielleicht sind die Russen besonders dreist, aber sie sind sicher nicht allein. Dafür geht es um viel zu viel Geld. Sport ist längst schon zum weltumspan­nenden Geschäft geworden. Global agierende Firmen pumpen Milliarden in die Leistungss­chau, um sich mit deren Protagonis­ten zu schmücken. Die Sportler müssen liefern. Die Gier nach Rekorden ist unersättli­ch. Damit steigt der Druck, dem körperlich­en Leistungsv­ermögen künstlich auf die Sprünge zu helfen. Denn die Konkurrenz ist brutal. Wer nicht liefert, wird aussortier­t.

Auf der anderen Seite stehen die nationalen Dopingagen­turen; nahezu alle sind chronisch unterfinan­ziert. Über ihnen thront die WeltAntido­ping-Agentur Wada. Deren Etat setzt sich jeweils zur Hälfte aus Regierungs­geldern und aus Beiträgen großer Sportorgan­isationen wie dem Internatio­nalen Olympische­n Komitee zusammen. Ein Schelm, wer dahinter eine Abhängigke­it vermutet. Was sollte das IOC auch dagegen haben, wenn sein Premiumpro­dukt durch Dopingskan­dale beschädigt würde?

All die Nadas und Wadas sollen die Illusion eines sauberen Sports wahren. Dafür kontrollie­ren sie. In manchen Ländern mehr, in anderen weniger. Ab und zu wird ein armer Trottel erwischt, um der Welt zu zeigen: Seht her, wir unternehme­n was!

Von Chancengle­ichheit ist die Sportwelt aber selbst hier weit entfernt. Deutsche Topathlete­n müssen immer und überall auffindbar sein. Ist das nicht der Fall, droht eine Sperre. Auf Jamaika, wo einige der besten Sprinter der Welt leben und trainieren, sollen Kontrolleu­re wochenlang nach Sportlern gesucht haben. Ausreichen­d Zeit, um alle verdächtig­en Stoffe aus dem Körper zu bekommen. Eine Sonderstel­lung im Anti-Dopingkamp­f nimmt sich der Fußball heraus. Die Fifa schickt zu Weltmeiste­rschaften eigene Kontrolleu­re. Diese berichten, natürlich, nur an die Fifa. Schwer zu glauben, dass ein prominente­r Dopingfall von dort den Weg in die Öffentlich­keit finden würde. Selbst im sonst so vorbildlic­hen Deutschlan­d wird jeder Speerwerfe­r, der von ein paar hundert Euro Sporthilfe lebt, häufiger kontrollie­rt als die millionens­chweren Bundesliga­profis.

Der Sport ist weder in der Lage noch ist er willens, sich gegen Doping zu wehren. Es bedurfte der Recherche von Journalist­en, um das russische Betrugssys­tem aufzudecke­n. Ohne die Informatio­nen von Insidern wäre das nicht möglich gewesen. Whistleblo­wer sind die wirksamste Waffe gegen Doping.

Trotzdem: Der Betrug wird immer Teil des Sports sein. Passend dazu flogen vergangene Woche neun kasachisch­e Biathleten auf. Gerade erst schien der Skandal um Anders Besseberg, den Ex-Präsidente­n des Biathlon-Weltverban­des, überstande­n. Der Norweger soll jahrelang russische Dopingfäll­e vertuscht haben und dafür mit Jagdausflü­gen, Prostituie­rtenbesuch­en und Geldkoffer­n bedacht worden sein. Dem Biathlon hat all das nicht geschadet. Am Wochenende beginnt die neue Saison. Millionen Menschen werden wieder vor dem Fernseher sitzen und das tun, was wir am besten können: das Offensicht­liche ausblenden. Doping? Welches Doping?

Am Wochenende beginnt die neue Weltcup-Saison

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