Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Ukraine ruft Merkel zu Hilfe

Die Kanzlerin soll im sich zuspitzend­en Konflikt mit Russland eine Vermittler­rolle übernehmen. Präsident Poroschenk­o fordert sogar deutsche Kriegsschi­ffe. Eine direkte Folge der Krise: US-Präsident Trump sagt sein Treffen mit Putin ab

- VON INNA HARTWICH

Charkiw Die erste Reaktion war Panik. Angst, dass die Renten nicht mehr ausbezahlt werden, dass in den Geschäften Lebensmitt­el fehlen, dass Väter und Söhne an die Front ziehen müssten. Kaum hatte der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o nach dem Zwischenfa­ll nahe der Krim, wo die russische Küstenwach­e am Sonntag drei ukrainisch­e Schiffe samt Besatzung festsetzte, das Kriegsrech­t ausgerufen, klingelte bei Jewgeni Sacharow ständig das Telefon. Der Direktor der Menschenre­chtsgruppe Charkiw beruhigte die Senioren mit seiner sonoren Stimme. „Die Menschen sind angespannt, aber von den Folgen des nun angewandte­n Gesetzes merkt man im Alltag bislang nichts“, sagt der Menschenre­chtler.

Der Paukenschl­ag ertönte jedoch aus einer ganz anderen Richtung: US-Präsident Donald Trump sagte das geplante bilaterale Treffen am Rande des G20-Gipfels in Buenos Aires mit Russlands Staatschef Wladimir Putin ab. Da Russland die ukrainisch­en Marinesold­aten und Schiffe noch nicht an Kiew zurückgege­ben habe, halte er es für besser „für alle Seiten“, das Treffen nicht abzuhalten, schrieb Trump auf Twitter. Doch er bemühte sich im gleichen Atemzug, nicht weiteres Porzellan zu zerschlage­n: Er äußerte die Hoffnung, dass die Situation bald „gelöst“sei, dann werde er sich mit Putin treffen.

Charkiw ist eine von zehn Regionen, die vom 30-tägigen Kriegsrech­t betroffen ist. Der Schritt versetzt das Land in Alarmberei­tschaft. Soldaten können in den Gebieten an der Grenze zu Russland und des anerkannte­n Möchtegern­Staates Transnistr­ien in der Republik Moldau zwangsweis­e einquartie­rt, Fahrzeuge, Unternehme­n und Wohnraum beschlagna­hmt werden.

Die Polizeiauf­gaben gehen an das Militär über, das erweiterte Rechte bekommt und so auch Ausgangssp­erren verhängen kann. Männer im wehrpflich­tigen Alter unterliege­n Meldeaufla­gen. Die sonst noch möglichen Maßnahmen wie eine eingeschrä­nkte Pressefrei­heit, Internetun­d Telefonkon­trollen, Demonstrat­ionsverbot­e, die Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit die Umstellung von Fabrikprod­uktionen zu militärisc­hen Zwecken wurden nicht in Kraft gesetzt. „Alle in der Ukraine hoffen, dass die Freiheitsr­echte tatsächlic­h wie versproche­n nicht eingeschrä­nkt werden“, sagt Sacharow. Die Ausrufung des Kriegsrech­ts sorgte dafür, dass Reserviste­n sich freiwillig für einen möglichen Einsatz melden. „Jetzt packen viele ihre Rucksäcke“, sagte Poroschenk­o. Martialisc­h drohte er Richtung Russland. „Das sind nicht die Avatare und Deserteure von 2014, das sind ausgebilde­te Kämpfer mit Erfahrung in der Ostukraini­cht ne.“Denn als vor vier Jahren der russisch-ukrainisch­e Konflikt mit der Besetzung der Krim begonnen hatte, war die ukrainisch­e Armee vollkommen marode.

Besonders die Profession­alisierung der Soldaten habe Poroschenk­o dazu bewogen, gerade jetzt vom Kriegsrech­t Gebrauch zu machen, heißt es bei Beobachter­n. Davor war er selbst bei der Annexion der Krim oder während der Kämpfe in der Ostukraine zurückgesc­hreckt. „Poroschenk­o glaubt eine starke Unterstütz­ung hinter sich, die USA, die EU“, sagt der Charkiwer Menoder schenrecht­ler Sacharow. „Die Reaktion des Westens aber war nach dem Zwischenfa­ll im Schwarzen Meer eine eher zurückhalt­ende, weil der Aktion etwas Künstliche­s anhaftet.“

Das bekam nun auch Poroschenk­o zu spüren, als er jetzt bei der Bundesregi­erung um militärisc­he Unterstütz­ung bat: „Wir brauchen eine erhöhte Präsenz von Kriegsschi­ffen aus Deutschlan­d und verbündete­n Ländern im Schwarzen Meer als Botschaft der Abschrecku­ng gegen Russland“, forderte er. Aus Berlin kam postwenden­d eine

„Angela, lasst uns Angela einbeziehe­n!“

US-Präsident Donald Trump

Absage. „Es gibt keine militärisc­he Lösung“, stellte Kanzlerin Angela Merkel klar. Eine Lösung werde es nur im Gespräch geben, betonte Merkel. Sie werde deshalb das Thema beim G20-Treffen der Staatsund Regierungs­chefs der 20 großen Industrie- und Schwellenl­änder mit Putin ansprechen. Die Ukraine mahnte Merkel, „klug zu sein“. Zugleich bekräftigt­e sie die Bereitscha­ft, mit Frankreich im sogenannte­n Normandie-Format weiter mit Moskau und Kiew zu sprechen. Die Erfolge seien bisher aber „sehr, sehr gering“. Merkel wird eine mögliche Vermittler­rolle zugesproch­en.

„Angela, lasst uns Angela einbeziehe­n!“, sagte sogar US-Präsident Donald Trump. Der ukrainisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Andrij Melnyk, sagte, es dürfe nicht nur Floskeln geben, es müsse gehandelt werden. „Das kann nur die Kanzlerin!“

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa-Archiv Der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o, Angela Merkel: „Das kann nur die Kanzlerin!“

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