Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mord vor 25 Jahren: So läuft der Prozess
Im Herbst 1993 wurde die Prostituierte Angelika Baron umgebracht, in Kürze steht ein Augsburger vor Gericht. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Fall. Ein Detail hielten die Ermittler mehr als ein Vierteljahrhundert zurück
Angelika Baron starb in der Nacht auf den 25. September 1993. Sie wurde umgebracht. Ein Fall, der für die Ermittler nicht zu lösen war, so schien es zumindest. Bis im November 2017 ein Verdächtiger wegen Mordverdachtes in Untersuchungshaft kam: Stefan E., ein heute 50 Jahre alter Mann aus Augsburg. In der kommenden Woche muss er sich vor dem Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in jener Nacht erst auf das Opfer eingeschlagen und es dann erwürgt zu haben, unter anderem aus Habgier. Wie genau Angelika Baron umgebracht worden war, hatte die Polizei damals nicht öffentlich gemacht – vermutlich aus ermittlungstaktischen Gründen. Stefan E. bestreitet die Tat vehement. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Gibt es in Augsburg vergleichbare Gerichtsprozesse?
Nein. Eine Verhandlung, die so lange nach einem Tötungsdelikt stattfindet, ist in Augsburg ein Sonderfall. Viele ungeklärte Morde in der Region liegen so weit zurück, dass unwahrscheinlich ist, dass die Täter noch am Leben sind. In anderen Or- Deutschlands gab es zuletzt zumindest ähnliche Mordprozesse, mit unterschiedlichem Ergebnis: In Hamburg etwa ging es erst vor einem Monat um einen Mordversuch vor 38 Jahren – ein Prozess, der mit einem Freispruch endete und ein Fiasko für die dortigen Ermittler einer speziell gegründeten „Cold Case“Einheit war. Am Landgericht Zwickau wiederum wurde vergangenes Jahr ein Rentner wegen des Mordes an einer 18-Jährigen im Jahr 1987 dank modernen DNA-Analysetechniken zu lebenslanger Haft verurteilt. Allerdings: Aussagekraft für den Prozess in Augsburg lässt sich daraus nicht wirklich ableiten.
Wer ist an dem Prozess beteiligt? Wenn es um Kapitaldelikte geht, werden diese am Landgericht vor der Schwurgerichtskammer verhandelt. Die Kammer besteht aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Vorsitzende Richterin ist Susanne Riedel-Mitterwieser. Die Staatsanwaltschaft wird von Martina Neuhierl vertreten, die für Kapitaldelikte zuständig ist. Verteidigt wird Stefan E. von den Augsburger Anwälten Klaus Rödl und Michael Zapf. In derart umfangreichen Verfahren kommt es oft vor, dass zwei Anwälte den Angeklagten vertreten. Anders als zunächst angekündigt, wird die Tochter von Angelika Baron nicht als Nebenklägerin auftreten. Sie lebt in Nordrhein-Westfalen; als Nebenklägerin vor Ort zu sein, wäre für sie enorm kostenintensiv und zeitaufwendig gewesen. Sie will aber, wie andere Angehörige des Opfers auch, zu den wichtigen Verhandlungstagen in Augsburg sein.
Wie lange wird der Prozess dauern – und welche Indizien führten überhaupt zur Anklage?
Die Dauer des Prozesses ist nur schwer zu prognostizieren, zumal nicht nur der Mordvorwurf im Raum steht, sondern die Anklagebehörde Stefan E. auch zur Last legt, im Jahr 2017 eine Frau aus seinem privaten Umfeld vergewaltigt zu haben. Es dürfte in jedem Fall ein Mammutprozess werden. Angesetzt sind vorerst 31 Verhandlungstage; mehrere Sachverständige und 124 Zeugen sollen geladen werden. Ein Urteil könnte im April 2019 gefällt werden. Es könnte auch länger dauern. Das Gericht sprach schon vor Monaten darüber, dass die Kammer eine „Vielzahl von Beweisen bewerten“müsse. Dazu gehören DNASpuren am Opfer, die nach Informaten tionen unserer Zeitung den Durchbruch bei den Ermittlungen gebracht hatten. Im Laufe der Ermittlungen der Kripo kamen weitere Indizien hinzu. Unter anderem sollen Zeugen ausgesagt haben, sich daran zu erinnern, damals einen hölzernen Möbelfuß im Besitz von Stefan E. gesehen zu haben. Mit eben einem solchen hölzernen Möbelfuß soll auf Angelika Baron in der Mordnacht zunächst eingeschlagen worden sein; die Ermittler fanden ihn tags drauf neben der Leiche. Klar ist aber auch: Eine derart eindeutige Beweislage, wie sie etwa beim Doppelmord von Hirblingen vorlag, ist eher nicht zu erwarten.
Welche Strafe droht dem Angeklagten in dem Prozess?
Sofern Stefan E. wegen Mordes verurteilt wird, droht ihm eine lebenslange Haftstrafe. Sollte die Kammer kein Mordmerkmal verwirklicht sehen und die Tat als Totschlag einstufen, müsste sie den Mann in diesem Punkt freisprechen – denn Totschlag wäre nach 20 Jahren verjährt. So passierte es im Fall eines Bauers aus der Eifel, der 1982 seine Ex-Freundin umgebracht haben soll und 2012 vor dem Trierer Landgericht stand.
Auf seiner Facebook-Seite hat Stefan E. ein Bild geteilt, auf dem die „Zwangskastration“für Vergewaltiger, Kinder- und Tierschänder gefordert wird. Diese Strafe droht ihm nicht, sollte das Gericht ihn wegen Vergewaltigung verurteilen. Laut Strafgesetzbuch steht hierauf allerdings eine Mindeststrafe von zwei Jahren.
Es gibt weitere Indizien neben den DNA-Spuren
Wie wird der Prozess ablaufen? Auch das ist nicht seriös zu prognostizieren. Bevor die Beweisaufnahme beginnt, hat stets der Angeklagte die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Davon hängt oftmals der weitere Prozessverlauf ab. Stefan E. will sich offenbar zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern – was sein gutes Recht ist. Möglich scheint, dass die Kammer erst einmal den Vorwurf der Vergewaltigung behandelt, ehe es sich dem Mord von 1993 widmet.
OVideo Ein Video mit den wichtigsten Stationen und Schauplätzen des Kriminalfalls finden Sie im Internet unter augsburger-allgemeine.de